Donnerstag, 29. Dezember 2022

Gendern

Wie wir Frauen uns die Sprache zurückerobern sollten. Ein Essay von Carla Hommola (Jg. 12).



Eine/r ist Zuhörer/in, der/die andere ist Vorleser/in. Eine/r liest den Abschnitt vor, der/die Zuhörer/in fasst das Gehörte zusammen heißt es in einem neuen österreichischen Schulbuch. Dass das bei Kindern, die gerade lesen lernen, für Verwirrung sorgt, ist selbsterklärend. Doch diese oder ähnliche - es gibt einige - geschlechtsgerechte Sprachreform wird von vielen Aktivisten eingefordert und nennt sich Gendern. Grund dafür ist die Benachteiligung der Frau und die Festsetzung von Geschlechterrollen durch die Sprache. Mithilfe der verschiedenen Stolperfallen beim Lesen soll Gleichberechtigung geschaffen werden. In diesem Essay soll geklärt werden, warum sich die Gender-Sprache in ihrer jetzigen Form nicht durchsetzen wird und warum Frau Winter in den formalen Angaben als Fachlehrer anstatt als Fachlehrerin genannt wird.

Die Debatte fand ihren Ursprung vor ca. 45 Jahren. Gegen Ende der 1970er äußerten die Aktivisten Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plotz erstmals ihre Kritik an der deutschen Sprache. Sie sei ihnen zufolge vom männlichen Geschlecht dominiert und müsse von den Frauen zurückerobert werden. Grammatikalisch geht es darum, das generische Maskulin, also Wörter wie Lehrer, um eine Endung zu erweitern, die auf die weiteren Geschlechter hinweist (-In bzw. -Innen). Da man Wörter wie Lehrer (im Plural) meist für eine Gruppe verschieden geschlechtlicher Personen verwendet, diese aber aufgrund des internalisierten Bilds der Geschlechterrollen nicht immer auf jedes Geschlecht gleich bezieht, soll die neue Endung darauf hinweisen. Dieses ist für Aktivisten das ausschlaggebende Argument, weswegen Gendern notwendig sei. Hierbei wird sich häufig auf Studien berufen, die beweisen, dass Menschen verschiedenen Berufsgruppen wie z. B. Professoren oder Sekretären ein bestimmtes Geschlecht zuordnen. Für den Versuch wurden Kinder gebeten, die Adjektive männlich und weiblich verschiedenen Berufsbezeichnungen zuzuordnen. Mit einem Professor assoziierten die Kinder eher männliche Personen und mit Sekretären weibliche. Um diesen Rollenbildern von Mann und Frau entgegenzuwirken, entwickelten Pusch und Trömel-Plotz die Idee des Genderns.

Die Forderung wurde seitdem und insbesondere in den letzten Jahren von feministisch motivierten Aktivisten und Politikern versucht durchzusetzen. Die Betonung liegt dabei auf dem Wort versucht, denn die geschlechtsgerechte Sprachgestaltung begeistert seitdem nur Teile der Bevölkerung. Ein Grund dafür: Die Verhetzung der deutschen Sprache, wie es so oft von leicht rechts angehauchten Männern im Seniorenalter heißt, wenn sie in fragwürdigen Foren ihrem Ärger über den Feminismus Luft machen. Dass diese die Bedeutung des Themas nicht verstanden haben, ist offensichtlich, doch was steckt tatsächlich hinter dem Argument? Beim Gendern gibt es keine einheitliche Rechtschreibform. Stattdessen findet man unzählige Variationen, die parallel verwendet werden. Zum einen kann durch Sonderzeichen gegendert werden. Da gibt es z. B. den Schrägstrich (Lehrer/innen), das Gender-Sternchen (Lehrer*innen), das Binnen-I (LehrerInnen) oder den Gender Gap (Lehrer_innen), um hier nur ein paar zu nennen. Auch gibt es Formen, die im alltäglichen Sprachgebrauch bereits verwendet werden, wie die Doppelnennung (Lehrer und Lehrerinnen) oder die Begriffsneutralisierung (die Lehrenden). Jede Form besitzt dabei ihre Vor- und Nachteile, weswegen, anstatt sich auf eine zu einigen, ständig neue Möglichkeiten ins Leben gerufen werden, die nicht die anderen ersetzen, sondern zu einer Vielzahl ergänzen. Zudem bleibt es mit der Anpassung nicht bei Substantiven. Auch Possessivpronomen müssen berücksichtigt werden. Bei komplizierten Sätzen kann das den Lese- und Schreibfluss massiv beeinträchtigen, wie es zu Beginn im Aufgabentext des österreichischen Schulbuchs der Fall war.

Das Problem der verkomplizierten Sprache führt uns zum nächsten Punkt. Die Gender-Debatte hat sich das Ziel gesetzt, Diskriminierung vorzubeugen, doch wo der eine Nachteil verkleinert werden soll, wird ein anderer ausgebaut. Die Form des Genderns durch Sonderzeichen, die es Sätzen wie dem obigen ermöglicht, bald überall aufzutauchen, erschwert es Personen, die unter einer Lese-Rechtschreibschwäche leiden, am Alltag teilzunehmen. Wird in Zukunft Gendern als Rechtschreibreform eingeführt - was sich viele Gender-Befürworter wünschen - wird die Diskriminierung der rund 12 % der Personen mit geringer Literalität eindeutig gefördert. Zudem bezieht sich diese Zahl nur auf Muttersprachler. Berücksichtigt man Personen mit Migrationshintergrund, die die deutsche Sprache lernen wollen, bzw. aufgrund von z. B. Arbeitsstellen sogar müssen, steigt die Zahl deutlich. Zählt die korrekte Form des Genderns dann auch noch zur Benotung in Schulen sowie Universitäten, wie es in manchen Institutionen bereits der Fall ist, erleiden diese Personen einen eindeutigen Nachteil, welcher ein erheblicher Eingriff in die Chancengleichheit darstellen würde.

Des Weiteren unterliegt die Debatte rund ums Gendern dem Henne-Ei-Problem. Was kam zuerst: die Henne oder das Ei? Eine Frage, auf die es auf den ersten Blick keine Antwort gibt. Das Problem: Die Frage ist die falsche. Wenn davon ausgegangen wird, dass sie die Lösung beinhaltet, kann sie nicht beantwortet werden. Wird sich allerdings mit dem Hintergrund der Frage beschäftigt, so wird erkannt, dass die Frage doch zu beantworten ist. Die Gender-Debatte leidet unter dem gleichen Konflikt. Gerade rückt der Fokus immer mehr auf die Frage: Wie gendert man am besten?, und nicht: Trägt Gendern überhaupt zur Beseitigung von Problemen bei? Um das Ziel der Bewegung zu erfüllen, muss, wie beim Henne-Ei-Problem, das Blickfeld erweitert werden. Erst dann kann wieder über den eigentlichen Konflikt - nämlich die Rollenbilder - gesprochen werden. Schließlich geht es nicht darum, wer am besten gendern kann, sondern darum, wie Gleichberechtigung am besten gelebt wird.

Seit den 70er Jahren versuchen Sprachwissenschaftler den besten Weg zu finden, um zu gendern. Gäbe es eine eindeutige Antwort, hätte sie sich in den knapp 50 Jahren der Diskussion bereits etabliert. Nun sollten wir nicht ein halbes Jahrzehnt Diskurs verwerfen, denn das Problem der Geschlechterrollen besteht immer noch. Doch kann dieser Konflikt wirklich mithilfe eines sich ständig selbst ersetzendem Sonderzeichen gelöst werden? Eher sollten sämtliche Gender-Formen, die Sonderzeichen beinhalten, abgeschafft werden. Sie führen zum Verkomplizieren der Sprache, fördern Diskriminierung und können zum Teil nur inkonsequent genutzt werden. Die einfachere Lösung wäre es, die neutralen Begriffe, also z. B. die Lehrenden, zu verwenden. Ein radikalerer Vorschlag wäre es, das generische Maskulin allumfassend für jedes Geschlecht zu benutzen. Nicht nur im Plural, sondern auch im Singular würden Frauen und Diverse damit auf die Ableitung des weiblichen Begriffs vom generischen Maskulin zu verzichten. Aus Lehrerin wird Lehrer. Dieses grammatikalische Phänomen gab es bereits zu DDR-Zeiten. Die vergleichsweise vielen Frauen, die dort arbeiteten, bezeichneten sich z. B. auch als Lehrer. Da ich diese Lösung für erfolgreich halte, wende ich sie bereits in diesem Essay an. Außerdem verwende ich aus diesem Grund in den obigen Angaben zu Schule und Kurs den Begriff Fachlehrer. Das Geschlecht des Fachlehrers ist irrelevant bzw. lässt sich, wenn nötig, anhand des Vornamens erkennen. Wenn die Information über das Geschlecht relevant wird, können geschlechtsbestimmende Adjektive, wie im Englischen (der weibliche Lehrer/ the female teacher) vor dem Wort hinzugefügt werden. Auf diesem Weg könnten sich die Frauen (und die Diversen) - um es in Luise F. Puschs Worten auszudrücken - die Sprache zurückerobern.


(Entstanden im Seminarfachkurs Gesellschaft und Mensch von Frau Winter).

Bildquelle: Pixabay

Freitag, 16. Dezember 2022

Katar 2023

Menschenrechte – die Verlierer der WM. Anna Lenja Epp (Jg. 13) über die Fußballweltmeisterschaft der Männer in Katar.



Es ist 20.00 Uhr, ich schalte den Fernseher an. Doch statt des üblichen „Guten Abend, meine Damen und Herren. Ich begrüße Sie zur Tagesschau“ dröhnt aus den Fernsehlautsprechern das Kreischen eines Stadionpublikums. Auf dem Bildschirm grüner Rasen statt blauem Tagesschau-Studio. Die Fußballweltmeisterschaft. Och nö.


Schnell schalte ich um. Nicht, dass wegen mir noch die Einschaltquoten hochgehen. Die Weltmeisterschaft wird gefälligst boykottiert!

Na ja, ein richtiger Boykott ist es nicht. Immerhin interessiert mich Fußball sonst auch nicht. Bisher habe ich in meinem Leben vielleicht ein Spiel gesehen und davon auch nur die erste Halbzeit. Das war in der vierten Klasse, als Deutschland Weltmeister wurde.

Ich habe nie ganz verstanden, was an Fußball so toll sein soll. Um mit einer Deutschlandflagge durch die Gegend zu laufen, bin ich wohl auch nicht patriotisch genug.

Anderen Menschen scheint Fußball jedoch sehr wichtig zu sein. So wichtig, dass sie dafür sogar einiges in Kauf nehmen. Denn Fußball ist nicht einfach nur ein Sport, dahinter steckt eine ganze Institution: die FIFA. Sie vergibt die Fußballweltmeisterschaft dank Korruption an ein Land, das sich für Fußball sonst wenig interessiert und in dem die klimatischen Verhältnisse nicht unbedingt zum Sporttreiben einladen. Eigentlich könnte mir das vollkommen egal sein. Sollen die Fußballer doch in der Wüste spielen, was geht mich das an? Doch dieser Sachverhalt zeigt, dass es der FIFA und Katar vor allem um eines geht: Geld. Und zwar jede Menge davon.

Menschenrechte fallen da gerne mal unter den Tisch. Ist ja auch unbequem, wenn man sich Gedanken darüber machen muss, dass beim Bau der Stadions über 6500 Gastarbeiter gestorben sind, dass tausende Familien ein Mitglied verloren haben.1

Und es ist auch unbequem, wenn man darüber nachdenken muss, dass Katar die Rechte von Frauen und LGBTQIA*+ mit Füßen tritt.2 Dennoch und gerade deswegen muss man darüber nachdenken.

Denken scheint nicht die Stärke der FIFA zu sein. Geld ist wichtiger. Aber Geld ist nicht alles.

Irgendein anderes Ziel muss Fußball doch haben. Auch wenn ich das persönlich nicht nachvollziehen kann, macht dieser Sport andere Menschen glücklich. Darum geht es doch, oder? Um Gemeinschaft, darum, sich mit Familie und Freund*innen ein Spiel anzusehen und gemeinsam den Fernseher anzubrüllen.

Es ist jedoch eine komische Gemeinschaft, wenn sie nicht an alle denkt, wenn sie Menschen ausschließt, wenn sie all das duldet, was in Katar vor sich geht.

Aber beim Fußball geht's ja nicht um Politik. Es geht um einen verdammten Ball, der in ein verdammtes Tor geschossen wird. Das ist alles. Wenn man Fußball schaut, dann schaut man Fußball. Man trinkt Bier, man grölt irgendwas Unverständliches, man denkt nicht nach. Es soll ja Spaß machen. Juhu.

Doch wie kann etwas glücklich machen, wenn dafür so viele Menschen gestorben sind und die Freude über die WM die Machenschaften der Regierung in Katar legitimiert? Ist das Glück der Fußballfans wichtiger als das der anderen, die nicht zur Gemeinschaft gehören?

Wer bei Fußballspielen zuschaut, schaut bei Menschenrechtsverletzungen weg.

Fußball ist mir egal, aber Menschenrechtsverletzungen sind nie in Ordnung. Und die FIFA ist dafür verantwortlich.

Was jetzt? Die Stadions stehen, die WM läuft. Jetzt ist zu spät. Kein gesetztes Zeichen oder symbolischer Akt macht die toten Gastarbeiter wieder lebendig. Nichts davon wird die Situation in Katar verbessern oder die FIFA doch noch zum Nachdenken bewegen. Gleichzeitig ist es traurig, wie der DFB und auch die Nationalmannschaft nicht einmal das hinbekommt. Eine Regenbogen-Kapitänsbinde war zu politisch, deshalb die One-Love-Binde. Darauf zu sehen ein Herz im Streifenmuster, die Farben irgendwie angeordnet, Hauptsache nicht in der Reihenfolge des Regenbogens. Auch diese wirklich unpolitische Armbinde war der FIFA noch nicht unpolitisch genug. Sie drohte mit Konsequenzen in Form von Nachteilen im Spiel. Also alles über den Haufen geschmissen.3

Immerhin haben sich die Spieler der Nationalmannschaft den Mund zugehalten. Ja genau, ihr seid es, die nicht sprechen dürfen. Und ihr seid es auch, die vor der FIFA eingeknickt sind, um den Punktestand von irgendeinem Spiel nicht zu gefährden. Geht es auch euch nur ums Geld?

Mittlerweile seid ihr sowieso rausgeflogen (oder wie wahre Fußballfans sagen: Wir sind rausgeflogen). Da hättet ihr vorher doch eigentlich auch ein Zeichen setzen können, oder?

Die Geschichte wäre ruhmreicher zuende gegangen, wenn Manuel Neuer mit Regenbogen-Armbinde eine gelbe oder rote Karte erhalten hätte und die Mannschaft deshalb nicht weitergekommen wäre.

Irgendwann werden sich Fußballfans an diese WM erinnern. Was meint ihr, woran sie sich lieber erinnern werden? An ein politisches Zeichen oder an ein einfach nur schlechtes Spiel?

Im Jahr 1968 reckten die Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos aus Protest für Menschenrechte die Fäuste in die Höhe, nachdem sie bei den Olympischen Spielen Gold und Bronze gewonnen hatten. Dafür wurden sie vom Publikum ausgebuht und aus dem olympischen Dorf geworfen.4 Dennoch war es richtig, was sie getan haben und das kann ihnen keine*r nehmen.

Wie gesagt: Fußball interessiert mich nicht. Macht, was ihr wollt, nur bitte haltet Menschenrechte ein.


Quellen:
1 https://www.tagesschau.de/sport/katar-wm-tote-101.html
2 https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/katar-sechs-dinge-ueber-das-gastgeberland-der-fussball- wm-2022
3 https://www.tagesschau.de/sport/wm-binde-101.html
4 https://www.abendzeitung-muenchen.de/sport/tommie-smith-eine-faust-als-stimme-des-protests- art-547848 (Triggerwarnung: Rassismus, Faschismus)


Donnerstag, 15. Dezember 2022

Cancel Culture

Argumentierst du noch oder cancelst du schon? Von Anna Lenja Epp (Jg. 13)


TRIGGERWARNUNG RASSISMUS, INTERFEINDLICHKEIT, TRANSFEINDLICHKEIT

Es war Dienstag, der 11. Oktober, in der ersten Doppelstunde. Statt des regulären Geschichtsunterrichts gab es an diesem Tag einen Vortrag des Zeitzeugen Manfred Casper, der über seine Jugend in der DDR sprechen sollte. Etwa 90 Minuten tat er das auch. Er war ein guter Redner, berichtete anschaulich über seine Erfahrungen. Die Stunde neigte sich dem Ende zu, was er aufgrund des fehlenden Klingelns jedoch nicht bemerkte. Zum Abschluss seines Vortrags mahnte er die anwesenden Schüler*innen des 13. Jahrgangs, sich für die Bewahrung ihrer Freiheit einzusetzen. Soweit so gut.

Hierzu nannte er allerdings noch zwei Beispiele:

Das erste war die Neuauflage des Klassikers von Karl May – Winnetou. Herr Casper erzählte, wie dieses Buch in seiner Schulzeit konfisziert wurde, ihm aber von einem sympathischen Lehrer wieder zurückgegeben wurde, nachdem dieser es selbst gelesen hatte. Daraus schlussfolgernd hielt Herr Casper es für falsch, dass der Ravensburger Verlag dieses Buch nicht weiter verkaufen wollte. Er meinte, er sage nicht, dass alles, was darin stehe, richtig sei, allerdings solle sich doch jeder ein eigenes Bild vom Inhalt machen. Dabei erweckte er den Eindruck, als seien die Menschen, die über die Gräueltaten des Kolonialismus aufklären möchten, jene, die die Geschichte nach ihrem eigenen Weltbild umdeuteten und anderen diesbezüglich Vorschriften machen wollten.

Herrn Caspers zweites Beispiel bezog sich auf den abgesagten Vortrag Marie-Luise Vollbrechts an der Humboldt-Universität. Ihre Behauptung, es gebe biologisch nur zwei Geschlechter, befand er ohne jegliche Begründung oder Beweisführung für richtig. Die Vorgehensweise der Humboldt-Universität, bei der laut ihm Vollbrecht unter dem Vorwand, sie schützen zu wollen, am Vortragen gehindert würde, verglich er mit der sogenannten „Schutzhaft“ im Nationalsozialismus.

Er entfernte sich dabei weit von seinem eigentlichen Thema und nutzte die ihm gebotene Bühne für rassistische, inter- und transfeindliche Äußerungen. Auch wenn er den Begriff „Cancel Culture“ nicht verwendete, so bediente er sich dennoch derselben Narrative.

Doch was soll das eigentlich sein? In einem Artikel zum erwähnten Vortrag an der Humboldt-Universität definiert die „Neue Zürcher Zeitung“ Cancel Culture folgendermaßen:

„Der Begriff beschreibt den Versuch, Personen unsichtbar zu machen, die Meinungen vertreten, welche vom tatsächlichen – oder vermeintlichen – Konsens in Wissenschaft und Gesellschaft abweichen. Aktivisten versuchen dann, die Vertreter dieser Meinungen öffentlich zu diskreditieren. Das Ziel ist dabei fast immer das gleiche: Ihnen soll die öffentliche Plattform entzogen werden.“1

Wenn man dieser Definition glaubt, ist Cancel Culture eine echte Bedrohung für die Meinungsfreiheit. Das wäre schlimm. Aber ist es der Fall?

Bei dem beschriebenen Ereignis geht es um Marie-Luise Vollbrecht, die, wie zuvor schon erwähnt, an der Humboldt-Universität einen Vortrag mit dem Titel „Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt“ halten wollte. Anlass war die „Lange Nacht der Wissenschaften“, bei der sich Universitäten für Besucher*innen öffnen und so für sich werben. Da im Vorfeld Proteste gegen den Vortrag und die darin enthaltene Queerfeindlichkeit angekündigt wurden, entschied sich die Universität dazu, diesen abzusagen beziehungsweise zu vertagen. Damit sollte laut der NZZ verhindert werden, dass die diesbezügliche Diskussion die gesamte Veranstaltung überschatte.2

Die Taz berichtet hingegen auch von angeblichen Sicherheitsbedenken, die die Humboldt Universität aufgrund von angekündigten Protesten geäußert habe.3

In dieser Vorgehensweise sehen die selbsternannten Ritter*innen im Kampf gegen die Cancel Culture einen Beweis für eine eingeschränkte Meinungsfreiheit, im Fall von Herrn Casper sogar einen Anlass für einen Nazivergleich. Das wäre vielleicht noch im Entferntesten vertretbar (also bis auf den Nazivergleich, der ist einfach nur bescheuert und geschichtsvergessen), wenn Marie-Luise Vollbrecht denn tatsächlich lediglich ihre Meinung zu irgendeinem Thema hätte vertreten wollen. Was ihre Unterstützer*innen dabei aber vergessen: Hass ist keine Meinung – und nichts Anderes ist Queerfeindlichkeit.

Vollbrecht hat nicht bloß eine Meinung, sie verbreitet Diskriminierung, noch dazu unter dem Deckmantel der Wissenschaft. Die Taz betont, dass es seitens der Protestierenden große Zweifel gegeben habe, ob Vollbrecht als Meeresbiologin überhaupt die Qualifikation besäße, einen wissenschaftlichen Vortrag über das Thema Transidentität zu halten. Dass die Universität daraus ein Sicherheitsrisiko ableite, verschiebe den Kernpunkt der Debatte.4

Denn ja, es gilt in Deutschland die Meinungsfreiheit und die ist auch auf jeden Fall schützenswert. Demokratie braucht verschiedene Meinungen und Auseinandersetzungen über diese. Doch Demokratie braucht keinen Hass, niemand braucht den. Die eigene Freiheit endet hier wie bei vielen anderen Beispielen da, wo die Freiheit anderer verletzt wird. In diesem Punkt gibt es Grenzen und das ist gut so. Menschen können alles sagen, doch manchmal sollten sie es mit Rücksicht auf andere sein lassen. Freiheit bedeutet nicht, dass ich alles tun kann, was ich will, sondern, dass ich tun kann, was ich will, solange ich keinem anderen Menschen schade.

Das ist ein wichtiger Unterschied, wenn es darum geht, Vorfälle wie jenen an der Humboldt-Universität richtig zu beurteilen. Bei wissenschaftlichen Vorträgen sollte die Wissenschaft im Vordergrund stehen – in diesem Fall der aktuelle Stand der Geschlechterforschung.5 Und „wissenschaftlicher Konsens [ist], dass die5 so genannten Geschlechtschromosomen XX und XY weder das äußere Geschlecht noch die geschlechtliche Selbstwahrnehmung eines Menschen eindeutig festlegen.“6
Vollbrecht hat damit nicht einfach nur ihre eigene Freiheit ausgelebt, sie hat die von anderen eingeschränkt. Deshalb ist dieser Vortrag nicht in Ordnung. Nicht weil anderen Menschen ihre Meinung nicht gefallen würde, sondern weil sie diese diskriminiert. Wir sollten Meinungen austauschen können, ohne Hass zu verbreiten Denn man kann über vieles Streiten, aber eben nicht über alles. Wenn man sich nicht einmal auf die Grundsätze einigen kann, dann ist eine konstruktive Auseinandersetzung unmöglich. Diese Grundsätze sollten Diskriminierung ausschließen und Fakten nicht zur Diskussion stellen. „Biologische Prozesse sind Fakten – die Label, die wir darauf kleben, nicht,“ fasst es die Neurowissenschaftlerin Franca Parianen in der
Berliner Zeitung zusammen.7

Ähnlich steht es bei Karl May. Seine Geschichte von Winnetou hat nichts mit der tatsächlichen Lebensrealität von Indigenen zu tun – im Gegenteil: Sie ist voll von Stereotypen. Genau das scheint auch der Ravensburger Verlag verstanden zu haben. „Angesichts der geschichtlichen Wirklichkeit, der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, wird hier ein romantisierendes Bild mit vielen Klischees gezeichnet [...]. Vor diesem Hintergrund wollen wir als Verlag keine verharmlosenden Klischees wiederholen und verbreiten,“ wird er in der Tagesschau zitiert.6 Leider kam diese Einsicht etwas spät und zwar erst nach der Veröffentlichung des Buches zum aktuellen Winnetou-Film, das wieder zurückgezogen wurde. Grund dafür war unter anderem der Shitstorm, den die bereits erwähnten Stereotype auslösten. Verfechter*innen der Cancel Culture sehen hierin mal wieder den Versuch, ihnen den Mund zu verbieten, und Herr Casper fühlte sich an seine Jugend in der DDR erinnert. Wie können diese woken Leute im Internet es nur wagen, frei ihre Meinung kundzutun und mit Argumenten einen Verlag davon zu überzeugen, dass ein rassistisches Buch keine gute Idee ist?

Ihr merkt, nur weil ein Verlag entscheidet, ein rassistisches Buch weniger zu verlegen, heißt das nicht, dass Zustände wie damals in der DDR herrschen.

Und ja, Winnetou ist eine fiktionale Geschichte und wir wissen alle, dass die darin beschriebene Handlung nicht wirklich passiert. Doch auch Fiktionen sollten keine Diskriminierung verbreiten – aber das tut ein Buch, wenn es Klischees über real existierende Menschen beinhaltet, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Auch das Argument, Winnetou solle zur Auseinandersetzung mit eben diesem Thema anregen, ist sehr fadenscheinig, wenn man bedenkt, dass sich das vom Ravensburger Verlag zurückgezogene Buch an Kinder im Alter von sieben bis zehn Jahren richtet. Was denkt ihr, wie viele Kinder hätten wohl das Buch gelesen und sich dann gesagt „Das ist ja total unrealistisch! Ich recherchiere jetzt zu Kolonialismus und der Diskriminierung indigener Bevölkerung!“?

Es kann ja sein, dass viele Menschen mit Winnetou glückliche Kindheitserinnerungen verbinden, wie Herr Casper es tut. Dennoch sollte sie dies nicht davon abhalten, auch andere Assoziationen mit dieser Geschichte zuzulassen und denen zuzuhören, die Kritik daran äußern. Denn auch, wenn sie als Kind nicht in der Lage waren, das beschriebene Geschehen angemessen zu reflektieren, so tragen sie nun im Erwachsenenalter die Verantwortung dafür.

Damit zurück zu Herrn Casper und seinem fragwürdigen Auftritt. Als Autor des Buches „Vom Wachsen der Flügel“, das auch in unserer Schulbibliothek zu finden ist, wurde er eingeladen. Bezahlt werden seine Vorträge von der „Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit“7, einer Stiftung, die der FDP nahesteht. „Mit unseren Veranstaltungen und Publikationen ermutigen wir Menschen, sich aktiv im politischen Geschehen einzumischen. [...] die Freiheit hat keine gute Konjunktur im Deutschland dieser Tage. Umso wichtiger ist es, für Freiheit zu werben und darum, die Verantwortung wahrzunehmen, die mit Freiheit einhergeht,“8 heißt es auf der Website der Stiftung.

Umso weniger verwunderlich scheint es, dass Herrn Caspers Vortrag mit einem – milde gesagt – vergleichbaren Statement endete. Er nutzte die Plattform für politische, aber vor allem diskriminierende Aussagen, und das ist nicht in Ordnung. Seine Meinung und politische Position hat in einem Vortrag vor einer Schulklasse nichts verloren.

Auch das ist wieder eine Meinung, und zwar meine. Nur halte ich keinen vermeintlich neutralen Vortrag und ich werde auch nicht von einer parteinahen Stiftung bezahlt.

Dass Herr Casper seine Meinung verbreiten konnte und auch weiterhin Vorträge an dieser Schule halten kann, wenn auch mit der Bitte, keine weiteren politischen Statements abzugeben, zeigt, dass eine Cancel Culture oder „Einschränkung der Freiheit“ nicht existiert, zumindest nicht für jene, die sich darüber beklagen.

Stattdessen scheint es fast so, dass der Vorwurf der Cancel Culture für viele Menschen bloß ein Weg ist, um sich gegenüber sämtlicher Kritik zu verschließen.


1 https://www.nzz.ch/international/transsexualitaet-humboldt-uni-verhindert-vortrag-von-biologin-ld.1691861
2 Ebd.
3 https://taz.de/Umstrittener-Gender-Vortrag-in-Berlin/!5868796/
4 https://taz.de/Transfeindlichkeit-an-Universitaet/!5864307
5 https://taz.de/Wissenschaftliche-Fakten-ueber-Geschlecht/!5862717 sowie
https://www.berliner-zeitung.de/open-source/vortrag-hu-berlin-geschlecht-neurowissenschaftlerin-zur-hu-das-ist-keine-cancel-culture-sondern-fortschritt-li.243461
6 https://www.youtube.com/watch?v=n7szGDphbhU
7 https://vomwachsenderfluegel.de
8 https://www.freiheit.org/de/ueber-die-stiftung


Freitag, 9. Dezember 2022

Fußball

Im Wettrennen? Bohao Zheng (5c) vergleicht die Ausgaben in den Fußballligen Deutschlands, Englands und Spaniens.


Die drei „größte Ligen weltweit“ (Bundesliga: Deutschland, LaLiga: Spanien, Premier League: England) duellieren sich eigentlich schon seid über 70 Jahren, in der UEFA Champions League (Gründungsjahr 1955/56), wer die besten Vereine in seinen Reihen hat. Daneben gibt noch zwei andere europäische Vereinsliegen: die Europa League (Gründungsjahr 1971/72) und die Conference League (Gründungsjahr 2021/22).

Doch was ist jetzt die beste Liga?

Die Premier League (England), denn alle ihre Vereine zusammen haben den höchsten Marktwert.

An zweiter Stelle liegt LaLiga und an dritter Stelle die Bundesliga. Obwohl … eigentlich ist die Bundesliga auf dem zweiten Platz, da ich die gesamten Vereinspreise zusammengezählt habe, und da die Bundesliga nur 18 Vereine hat (LaLiga und Premier League 20 Vereine), hinkt der Vergleich etwas.

Aber jetzt die genauen Werte (alle Angaben in Mrd. €):


Und wie sieht es mit den Meister (1. in der Liga) aus?

Meister in der Bundesliga (Deutschland) ist: FC Bayern München
Der Meister in LaLiga (Spanien) ist: FC Real Madrid
Der Meister in der Premier League (England) ist: Manchester City

Doch wie sieht es jetzt mit den Marktwerten aus? (Angaben in Mio. €.)


Und was sieht man? England dominiert. Und auch die Premier League führt! Auch wenn es die jüngste Liga ist (Gründungsjahr 1992).



[Alle angegebenen Daten aus der Saison 22/23 (Winterpause)]
Quelle:
https://www.transfermarkt.de