Freitag, 8. Juli 2022

Diskriminierung: Umfrage

Ich bin geschockt. Anna Lenja Epp fragt: Welche Diskriminierungserfahrungen machen Schüler*innen am Wilhelm-Gymnasium?


Dieser Frage wollte ich schon seit längerem nachgehen. Zunächst befragte ich Menschen persönlich, fand aber schnell heraus, dass das nicht allzu gut funktionierte. Schließlich entschied ich mich für eine Umfrage, an der ihr alle anonym teilnehmen konntet. Am Samstag, dem 14. Mai, wurde der Link zur Umfrage um 11:00 Uhr auf die Startseite des schulinternen IServ gestellt. Montagmorgen sah ich nach den ersten Ergebnissen. Ich hatte mit ein paar wenigen Antworten gerechnet, nicht mehr als zehn, immerhin hatte die Schulwoche noch nicht richtig angefangen und am Wochenende würde sich ja wohl niemand mit einer Umfrage beschäftigen. Da hatte ich mich deutlich getäuscht. Am Montagmorgen waren es bereits über 50 Antworten.

Einerseits freute ich mich, dass Menschen an der Umfrage teilnahmen, andererseits war ich schockiert von den Beschreibungen, die ihr von euren Diskriminierungserfahrungen abgegeben habt. Die Umfrage lief einen Monat, am Ende waren es 92 Antworten.


Danke an alle, die an dieser Umfrage ernsthaft teilgenommen und ihre Erfahrungen geteilt haben!

Und an alle, die die Umfrage verwendet haben, um sinnlose Scherz-Antworten zu verbreiten: Euer Ernst? Habt ihr wirklich nicht kapiert, dass Diskriminierung auch hier am WG ein echtes Problem ist?

Arten von Diskriminierung

In den ernsthaften Antworten werden verschiedene Diskriminierungsformen beschrieben. Es geht hierbei um Rassismus, Sexismus, Bodyshaming und Queerfeindlichkeit, darunter Homophobie und Transphobie. Außerdem wurden mehrere Mobbingfälle angegeben. Auch wenn Mobbing an sich nicht unmittelbar mit Diskriminierung zu verbinden ist, zählt es in dieser Statistik dazu.

[Anm. der Redaktion: Die Detailergebnisse der Umfrage sind hier aktuell nicht einsehbar. Wir stehen im Austausch mit dem Schulleiter, wie damit umzugehen ist]. Ich möchte betonen, dass diese Umfrage ausdrücklich nicht dem Zweck dient, die beschriebenen Aussagen und Handlungen an sich weiterzuverbreiten und damit deren diskriminierende Inhalte zu unterstützen.

Stattdessen soll es in diesem Artikel darum gehen, die Situation am Wilhelm-Gymnasium abzubilden und sichtbar zu machen, welche Scheiße Menschen hier erleben (anders kann ich es nicht formulieren). Nur wenn wir wissen, was hier abgeht, können wir damit umgehen.

Die Umfrage ist dabei bewusst auf Erlebnisse innerhalb dieser Schule begrenzt. Was in dieser Umfrage beschrieben wird, ist an dieser Schule passiert und muss von uns als Problem anerkannt werden. Das heißt noch nicht, dass das Wilhelm-Gymnasium beim Thema Diskriminierung schlechter oder besser dasteht als andere Schulen. Es heißt einfach nur, dass Menschen an dieser Schule die Verantwortung tragen, um Diskriminierung zu bekämpfen.

53 % mit Diskriminierungserfahrungen

Unter den Teilnehmenden der Umfrage sind besonders die Jahrgänge 8 bis 10 sowie 11 bis 13 vertreten, die jüngeren Schüler*innen machen nur etwa ein Viertel aus. Von den Teilnehmenden geben über die Hälfte, genauer gesagt 53 % an, Diskriminierungserfahrungen am Wilhelm-Gymnasium gemacht zu haben. 53 Prozent.


Auch wenn sich an dieser Umfrage wahrscheinlich vor allem Schüler*innen mit solchen Erfahrungen beteiligt haben, ist es dennoch erschreckend, wie viele es sind. Noch deutlicher wird das Ausmaß der Diskriminierung an dieser Schule, wenn wir uns die Selbsteinschätzungen der jeweiligen Häufigkeit der gemachten Erfahrungen ansehen. Während 47 % der Schüler*innen angeben, keine Diskriminierungserfahrungen zu machen, sind es nur 30 %, die von sich sagen können, nie etwas Derartiges zu erleben. Diese deutliche Diskrepanz lässt darauf schließen, dass für einige Menschen die Hemmschwelle, bei einer Frage nach der selbst erlebten Diskriminierung mit ja zu antworten, zu hoch ist, obwohl sie diese Erfahrungen machen. Das ist problematisch, denn es verdeutlicht, wie schwer es ist, das Thema Diskriminierung anzusprechen. Davon, dass wir dieses Problem ignorieren, wird es nur leider nicht kleiner.


Lehrer: unbedachte Scherze

Immerhin geben insgesamt 39 Schüler*innen an, von ihren Mitschüler*innen diskriminiert worden zu sein, und 33 sagen dies über ihre Lehrkräfte. Bei Lehrer*innen beziehen sie sich dabei nicht selten auch auf die Notengebung, die sie als ungerecht und von diskriminierenden Faktoren abhängig beschreiben. Meiner Meinung nach ist es wirklich traurig, sich nicht sicher sein zu können, ob die eigene Note nur auf Basis der tatsächlichen Leistung zustande gekommen ist. Allgemein fällt auch auf, dass sowohl Schüler*innen als auch Lehrer*innen teilweise wahrscheinlich unbedachte Scherze mit diskriminierenden Inhalten machen, die Menschen verletzen. Denn auch wenn Aussagen „nicht so gemeint“ waren, können sie ähnliche oder gleiche Wirkungen haben, wie bewusste Diffamierungen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir uns mit Diskriminierung auseinandersetzen und reflektieren, welche Verantwortung wir dabei selbst tragen.


Eigentlich sollte die Schule ein Ort sein, an dem wir alle gemeinsam lernen können. Doch wie sollen wir in Ruhe lernen, wenn wir uns permanent Gedanken darüber machen müssen, wie wir mit etwaigen Diskriminierungen umgehen? In der Schulordnung steht dazu unter dem Punkt „1.05 Grundsätze unserer Schule“ folgendes:

„Schüler, Lehrer und Eltern verpflichten sich zur vertrauensvollen Zusammenarbeit, damit unsere Schule ein Lern- und Lebensraum ist, in dem sich alle wohlfühlen und in dem sich gut leben und lernen lässt.“*

Diskriminierung wird in diesem Zusammenhang und nach meinem Kenntnisstand auch in der sonstigen Schulordnung nicht explizit erwähnt. Eine spezielle Anlaufstelle gibt es hierfür ebenfalls nicht, auf Nachfrage wurde mir jedoch mitgeteilt, dass der Umgang mit Diskriminierungserfahrungen in den Aufgabenbereich des Beratungs- und Unterstützungsteams fällt. Dazu gehören das Mobbinginterventionsteam, die Sozialpädagoginnen und die Vertrauenslehrer*innen beziehungsweise Beratungslehrer*innen des Wilhelm-Gymnasiums. Wenn ihr möchtet, könnt ihr euch also gern an diese Stellen wenden.

Nicht unter den Teppich kehren

Jedoch müssen wir beachten, dass es sich bei den in der Umfrage beschriebenen Situationen nicht um Einzelfälle handelt. Dahinter steckt ein System, das bestehende Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft aufrechterhält und fördert. Dieses System ist natürlich nicht auf unsere Schule begrenzt, doch trotzdem müssen wir hier vor Ort unseren Beitrag leisten, um dagegen vorzugehen. Dabei kann es nicht sein, dass Diskriminierung unter den Teppich gekehrt wird, um Einzelpersonen oder das Image der Schule zu schützen. Was für ein Image soll das sein? Das einer Schule ohne Diskriminierung?

Leider ist das eine utopische Vorstellung. Natürlich wäre es super, wenn niemand an dieser Schule diskriminiert werden würde. Doch bis zu diesem Punkt ist es noch ein sehr langer Weg. Wenn wir uns selbst als frei von Diskriminierung sehen, bewirkt das nicht automatisch, dass wir das auch werden. Vielmehr verleitet es uns dazu, die Augen vor Diskriminierung zu verschließen und nichts gegen sie zu unternehmen. Deshalb ist es auch noch nicht ausreichend, wenn sich Menschen bloß gegen Diskriminierung oder einzelne Diskrimierungsformen aussprechen, solange sie nicht aktiv dagegen wirken.

Um gegen sie vorgehen zu können, müssen wir Diskriminierung benennen und gemeinsam über Gegenmaßnahmen beraten. Wir müssen diskutieren – aber nicht darüber, ob Diskriminierung existiert (denn das tut sie und das wissen wir auch), sondern darüber, wie wir sie bekämpfen können.


Mittwoch, 6. Juli 2022

TU Braunschweig: Literaturfestival

Ideen vor dem Einschlafen & Gedichte auf Instagram. Jakob Josef Schöll (5a) sprach mit den Kinderbuchautor*innen Tamara Bach und Nils Mohl.



Am 24. Juni 2022 veranstaltete die Technischen Universität Braunschweig auf dem Campus Nord ein Literaturfestival. Es fand unter freiem Himmel statt, es gab Lesungen von Schriftsteller*innen, dazwischen Musik, Popcorn und Essen. Und man konnte die Bücher kaufen, aus denen gelesen wurde, und sich die Bücher nach der Lesung signieren lassen.

Das Festival begann mit den Lesungen zweier Kinder- und Jugendbuchautor*innen: Tamara Bach las aus ihrem aktuellen Roman „Das Pferd ist ein Hund“ (ab 10 Jahren). Nils Mohl hat aus einem Roman vorgelesenen, der noch gar nicht erschienen ist: „Henny und Ponger“ (ab 14 Jahren).

Nach den Lesungen und dem Signieren hatte ich Gelegenheit, die beiden Autor*innen zu interviewen und ihnen ein paar interessante Fragen zu stellen.


Unser Autor (li.), die beiden Autor*innen
sowie Karl Schöll und Paul Kahl.


TAMARA BACH


Guten Tag, Frau Bach, und schon am Anfang: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview nehmen! Meine erste Frage: Warum schreiben Sie für Kinder und Jugendliche und nicht für Erwachsene?
Oh, ich schreibe auch für Erwachsene, nur wollen die nichts lesen (lacht). Nein, ich finde es spannend, für Kinder zu schreiben. Ich habe auch lange Kinderliteratur gelesen, denn ich finde, da passiert ganz viel in wenigen Jahren, und das ist eine sehr spannende Zeit.

Interessant. Woher wissen sie, was sie schreiben wollen und welche Figuren in ihren Texten vorkommen sollen?
Das ist selten klar, die tauchen irgendwann auf und sagen: Erzähl mal meine Geschichte! Und dann folge ich ihnen einfach. Es ist plötzlich eine Idee da, gerne vor dem Einschlafen, wenn man gerade so in den Schlaf reinsackt.

Lesen Sie auch Bücher von andern Kinderbuch-Autoren oder nur Bücher für Erwachsene?
Nein, ich lese alles, auch Bücher für Kinder. Ich lese Comics und Graphic Novels, wenig Krimis und Theaterstücke. Manchmal Lyrik.

Ok, gut zu wissen. Wissen sie, wie ihre Bücher bei den Lesern ankommen und wenn ja, woher wissen sie das?
Das weiß ich selten, außer ich habe Leuten das Buch direkt in die Hand gedrückt und die haben mir das danach gesagt. Wenn ich Lesungen halte, haben die Leute das vorher noch nicht gelesen, weil ich viel an Schulen lese. Dann guck ich, ob sie an den richtigen Stellen lachen – und manchmal lachen sie. (lacht)

Da haben sie die nächste Frage ja schon fast erraten: Mögen sie Lesungen?
Manchmal und dann manchmal nicht. Das kann sehr, sehr unterschiedlich sein. Es gibt Lesungen, da könnte ich noch stundenlang weiter lesen; und dann gibt es Lesungen, da denk ich: nee …

Sie haben ja schon viele Preise für Ihre Bücher bekommen. Wie ist es, wenn man Literaturpreise bekommt, und über welchen Preis haben Sie sich am meisten gefreut?
Oh, ich habe mich über alle gefreut, das ist echt ganz toll. Das ist auch sehr unterschiedlich, beim Deutschen Jugendliteraturpreis zum Beispiel, da weiß man gar nicht, dass man den Preis bekommt. Da weiß man nur, dass man nominiert ist, und dann wird der eigene Namen aufgerufen. Das ist schon – aufregend! Bei den anderen wird man dann angerufen und die sagen einem, dass man den Preis bekommt. Das ist sehr schön, doch man bekommt bei der Preisverleihung wenig mit. Das ist dann so, als hätte man Geburtstag, und der ist plötzlich vorbei und man denkt so: Wie kam das jetzt?

Vielen Dank nochmal für das Interview und dass Sie sich die Zeit genommen haben.



NILS MOHL


Lieber Herr Mohl, ich danke ihnen, dass Sie Zeit haben für das Interview. Legen wir direkt los mit der ersten Frage: Schreiben sie lieber Gedichte oder Romane?
Ich freue mich, dass ich beides schreiben darf. Das Tolle an Gedichten ist, dass man schneller fertig ist, und wenn mal eins daneben geht, ist es nicht so schlimm. Bei einem Roman, da arbeitet man so lange dran und will dann auch nicht, dass etwas schief geht.

Beides ist gut. Wie kamen Sie auf die Idee, Gedichte auf Instagram zu veröffentlichen?
2020 sollten zwei Gedichtbände von mir erscheinen, und ich habe gedacht, ein bisschen Werbung vorab kann ja nicht schaden! Das hat mir dann viel Spaß gemacht und seither veröffentliche ich Gedichte auf Instagram, die dann einigen Leuten gefallen, die dann vielleicht auch die Bücher kaufen. Irgendwie bin ich süchtig geworden und konnte dann gar nicht mehr aufhören, Gedichte zu schreiben. (Anmerkung: Nils Mohl postet jede Woche ein Gedicht auf Instagram.)

Glauben Sie, dass Gedichte eine passende Form von Literatur sind, um auf Instagram veröffentlicht zu werden?
Instagram ist ja eigentlich eine App für Bilder, und das ist nicht so ganz einfach, denn es müssen sehr kurze Gedichte sein, damit sie in einen Bilderrahmen passen. Und ja, ich glaube, das passt gut, weil sie so kurz sind. Man braucht nicht lange, um sie zu lesen.

Interessante Theorie. Haben Sie viele Follower?
Ich habe über 1200, das finde ich schon viel (lacht).

Und wie viele Likes kriegen Sie?
Das ist total spannend, weil man jede Woche direkt erfährt, wie das Gedicht bei den Lesern ankommt. Es gibt gerade so um die hundert Likes pro Gedicht.

Wie ist es, wenn das eigene Buch verfilmt wird? (Anmerkung: Nils Mohls Roman „Es war einmal Indianerland“ wurde 2017 verfilmt.)
Ich war an der Verfilmung beteiligt, und es hat sich so lange hingezogen – von der ersten Idee zur Verfilmung bis zum Kinostart waren es fünf Jahre! Das heißt, das kam nicht von heute auf morgen. Das tollste war, glaube ich, als die Dreharbeiten angefangen haben und als ich das erste Mal ans Set gegangen bin. Und da standen dann Lastwagen rum und verkleidete Schauspieler, da dachte ich: Vor ein paar Jahren saß ich alleine an meinem Schreibtisch, und jetzt laufen da Hunderte von Menschen rum, um einem Film draus zu machen. Toller Moment!

Hunderte Menschen? Cool! Wer hat den Roman für den Film umgeschrieben?
Das habe ich zusammen mit einem Freund, Max Reinhold, zusammen gemacht und wir beide haben auch immer wieder mit dem Regisseur darüber gesprochen, İlker Çatak. Wir beide haben's geschrieben, mit der Hilfe vom Regisseur ist es fertig geworden.

Haben Sie das Gefühl, berühmt zu sein?
(Lacht). Nein, das ist auch ganz, ganz gut so. Wirklich berühmt zu sein, ist anstrengend. Das würde mein Leben, glaub ich, ändern, und das ist nicht so toll.

Im Internet steht, dass Sie Leuten das Schreiben beibringen. Können Sie auch Kindern und Jugendlichen beibringen, wie man schreibt?
Die meisten können schon Lesen und Schreiben (lacht). Ich kann ihnen helfen, Geschichten zu erfinden. Natürlich habe ich im Laufe der Jahre ein paar Tricks gelernt, die ich jetzt weitergeben kann. Das macht mir großen Spaß. Und das kann ich natürlich auch Kindern beibringen.

Haben Sie denn Kinder?
Ja, ich habe Kinder, die sind heute 13, 16 und 18. Jahre. Und die wachsen so langsam aus der Kinder- und Jugendzeit raus.

Lesen Ihre Kinder auch Ihre Texte?
(Zögert). Manchmal, sie können das natürlich völlig freiwillig machen. Das sind so eine Art Zeitkapseln für später. Das ist, glaub ich, viel spannender, wenn sie dann später, wenn sie älter sind und ich vielleicht nicht mehr da bin, die Bücher haben, um zu gucken, was ich damals so gedacht und geschrieben und phantasiert habe.

Vielen Dank für das Interview und dass Sie sich die Zeit dafür genommen haben.
Danke auch für Deine tollen Fragen!



Ich fand die Lesungen und auch die Interviews toll, und vielleicht wollt Ihr ja mal ein Buch von den beiden lesen.



Foto: Lina Sens (TU BS).