Ich bin geschockt. Anna Lenja Epp fragt: Welche Diskriminierungserfahrungen machen Schüler*innen am Wilhelm-Gymnasium?
Dieser Frage wollte ich schon seit längerem nachgehen. Zunächst befragte ich Menschen persönlich, fand aber schnell heraus, dass das nicht allzu gut funktionierte. Schließlich entschied ich mich für eine Umfrage, an der ihr alle anonym teilnehmen konntet. Am Samstag, dem 14. Mai, wurde der Link zur Umfrage um 11:00 Uhr auf die Startseite des schulinternen IServ gestellt. Montagmorgen sah ich nach den ersten Ergebnissen. Ich hatte mit ein paar wenigen Antworten gerechnet, nicht mehr als zehn, immerhin hatte die Schulwoche noch nicht richtig angefangen und am Wochenende würde sich ja wohl niemand mit einer Umfrage beschäftigen. Da hatte ich mich deutlich getäuscht. Am Montagmorgen waren es bereits über 50 Antworten.
Einerseits freute ich mich, dass Menschen an der Umfrage teilnahmen, andererseits war ich schockiert von den Beschreibungen, die ihr von euren Diskriminierungserfahrungen abgegeben habt. Die Umfrage lief einen Monat, am Ende waren es 92 Antworten.
Danke an alle, die an dieser Umfrage ernsthaft teilgenommen und ihre Erfahrungen geteilt haben!
Und an alle, die die Umfrage verwendet haben, um sinnlose Scherz-Antworten zu verbreiten: Euer Ernst? Habt ihr wirklich nicht kapiert, dass Diskriminierung auch hier am WG ein echtes Problem ist?
Arten von Diskriminierung
In den ernsthaften Antworten werden verschiedene Diskriminierungsformen beschrieben. Es geht hierbei um Rassismus, Sexismus, Bodyshaming und Queerfeindlichkeit, darunter Homophobie und Transphobie. Außerdem wurden mehrere Mobbingfälle angegeben. Auch wenn Mobbing an sich nicht unmittelbar mit Diskriminierung zu verbinden ist, zählt es in dieser Statistik dazu.
[Anm. der Redaktion: Die Detailergebnisse der Umfrage sind hier aktuell nicht einsehbar. Wir stehen im Austausch mit dem Schulleiter, wie damit umzugehen ist]. Ich möchte betonen, dass diese Umfrage ausdrücklich nicht dem Zweck dient, die beschriebenen Aussagen und Handlungen an sich weiterzuverbreiten und damit deren diskriminierende Inhalte zu unterstützen.
Stattdessen soll es in diesem Artikel darum gehen, die Situation am Wilhelm-Gymnasium abzubilden und sichtbar zu machen, welche Scheiße Menschen hier erleben (anders kann ich es nicht formulieren). Nur wenn wir wissen, was hier abgeht, können wir damit umgehen.
Die Umfrage ist dabei bewusst auf Erlebnisse innerhalb dieser Schule begrenzt. Was in dieser Umfrage beschrieben wird, ist an dieser Schule passiert und muss von uns als Problem anerkannt werden. Das heißt noch nicht, dass das Wilhelm-Gymnasium beim Thema Diskriminierung schlechter oder besser dasteht als andere Schulen. Es heißt einfach nur, dass Menschen an dieser Schule die Verantwortung tragen, um Diskriminierung zu bekämpfen.
53 % mit Diskriminierungserfahrungen
Unter den Teilnehmenden der Umfrage sind besonders die Jahrgänge 8 bis 10 sowie 11 bis 13 vertreten, die jüngeren Schüler*innen machen nur etwa ein Viertel aus. Von den Teilnehmenden geben über die Hälfte, genauer gesagt 53 % an, Diskriminierungserfahrungen am Wilhelm-Gymnasium gemacht zu haben. 53 Prozent.
Auch wenn sich an dieser Umfrage wahrscheinlich vor allem Schüler*innen mit solchen Erfahrungen beteiligt haben, ist es dennoch erschreckend, wie viele es sind. Noch deutlicher wird das Ausmaß der Diskriminierung an dieser Schule, wenn wir uns die Selbsteinschätzungen der jeweiligen Häufigkeit der gemachten Erfahrungen ansehen. Während 47 % der Schüler*innen angeben, keine Diskriminierungserfahrungen zu machen, sind es nur 30 %, die von sich sagen können, nie etwas Derartiges zu erleben. Diese deutliche Diskrepanz lässt darauf schließen, dass für einige Menschen die Hemmschwelle, bei einer Frage nach der selbst erlebten Diskriminierung mit ja zu antworten, zu hoch ist, obwohl sie diese Erfahrungen machen. Das ist problematisch, denn es verdeutlicht, wie schwer es ist, das Thema Diskriminierung anzusprechen. Davon, dass wir dieses Problem ignorieren, wird es nur leider nicht kleiner.
Lehrer: unbedachte Scherze
Immerhin geben insgesamt 39 Schüler*innen an, von ihren Mitschüler*innen diskriminiert worden zu sein, und 33 sagen dies über ihre Lehrkräfte. Bei Lehrer*innen beziehen sie sich dabei nicht selten auch auf die Notengebung, die sie als ungerecht und von diskriminierenden Faktoren abhängig beschreiben. Meiner Meinung nach ist es wirklich traurig, sich nicht sicher sein zu können, ob die eigene Note nur auf Basis der tatsächlichen Leistung zustande gekommen ist. Allgemein fällt auch auf, dass sowohl Schüler*innen als auch Lehrer*innen teilweise wahrscheinlich unbedachte Scherze mit diskriminierenden Inhalten machen, die Menschen verletzen. Denn auch wenn Aussagen „nicht so gemeint“ waren, können sie ähnliche oder gleiche Wirkungen haben, wie bewusste Diffamierungen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir uns mit Diskriminierung auseinandersetzen und reflektieren, welche Verantwortung wir dabei selbst tragen.
Eigentlich sollte die Schule ein Ort sein, an dem wir alle gemeinsam lernen können. Doch wie sollen wir in Ruhe lernen, wenn wir uns permanent Gedanken darüber machen müssen, wie wir mit etwaigen Diskriminierungen umgehen? In der Schulordnung steht dazu unter dem Punkt „1.05 Grundsätze unserer Schule“ folgendes:
„Schüler, Lehrer und Eltern verpflichten sich zur vertrauensvollen Zusammenarbeit, damit unsere Schule ein Lern- und Lebensraum ist, in dem sich alle wohlfühlen und in dem sich gut leben und lernen lässt.“*
Diskriminierung wird in diesem Zusammenhang und nach meinem Kenntnisstand auch in der sonstigen Schulordnung nicht explizit erwähnt. Eine spezielle Anlaufstelle gibt es hierfür ebenfalls nicht, auf Nachfrage wurde mir jedoch mitgeteilt, dass der Umgang mit Diskriminierungserfahrungen in den Aufgabenbereich des Beratungs- und Unterstützungsteams fällt. Dazu gehören das Mobbinginterventionsteam, die Sozialpädagoginnen und die Vertrauenslehrer*innen beziehungsweise Beratungslehrer*innen des Wilhelm-Gymnasiums. Wenn ihr möchtet, könnt ihr euch also gern an diese Stellen wenden.
Nicht unter den Teppich kehren
Jedoch müssen wir beachten, dass es sich bei den in der Umfrage beschriebenen Situationen nicht um Einzelfälle handelt. Dahinter steckt ein System, das bestehende Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft aufrechterhält und fördert. Dieses System ist natürlich nicht auf unsere Schule begrenzt, doch trotzdem müssen wir hier vor Ort unseren Beitrag leisten, um dagegen vorzugehen. Dabei kann es nicht sein, dass Diskriminierung unter den Teppich gekehrt wird, um Einzelpersonen oder das Image der Schule zu schützen. Was für ein Image soll das sein? Das einer Schule ohne Diskriminierung?
Leider ist das eine utopische Vorstellung. Natürlich wäre es super, wenn niemand an dieser Schule diskriminiert werden würde. Doch bis zu diesem Punkt ist es noch ein sehr langer Weg. Wenn wir uns selbst als frei von Diskriminierung sehen, bewirkt das nicht automatisch, dass wir das auch werden. Vielmehr verleitet es uns dazu, die Augen vor Diskriminierung zu verschließen und nichts gegen sie zu unternehmen. Deshalb ist es auch noch nicht ausreichend, wenn sich Menschen bloß gegen Diskriminierung oder einzelne Diskrimierungsformen aussprechen, solange sie nicht aktiv dagegen wirken.
Um gegen sie vorgehen zu können, müssen wir Diskriminierung benennen und gemeinsam über Gegenmaßnahmen beraten. Wir müssen diskutieren – aber nicht darüber, ob Diskriminierung existiert (denn das tut sie und das wissen wir auch), sondern darüber, wie wir sie bekämpfen können.