Wie wir Frauen uns die Sprache zurückerobern sollten. Ein Essay von Carla Hommola (Jg. 12).
„Eine/r ist Zuhörer/in, der/die andere ist Vorleser/in. Eine/r liest den Abschnitt vor, der/die Zuhörer/in fasst das Gehörte zusammen“ heißt es in einem neuen österreichischen Schulbuch. Dass das bei Kindern, die gerade lesen lernen, für Verwirrung sorgt, ist selbsterklärend. Doch diese oder ähnliche - es gibt einige - geschlechtsgerechte Sprachreform wird von vielen Aktivisten eingefordert und nennt sich Gendern. Grund dafür ist die Benachteiligung der Frau und die Festsetzung von Geschlechterrollen durch die Sprache. Mithilfe der verschiedenen Stolperfallen beim Lesen soll Gleichberechtigung geschaffen werden. In diesem Essay soll geklärt werden, warum sich die Gender-Sprache in ihrer jetzigen Form nicht durchsetzen wird und warum Frau Winter in den formalen Angaben als Fachlehrer anstatt als Fachlehrerin genannt wird.
Die Debatte fand ihren Ursprung vor ca. 45 Jahren. Gegen Ende der 1970er äußerten die Aktivisten Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plotz erstmals ihre Kritik an der deutschen Sprache. Sie sei ihnen zufolge vom männlichen Geschlecht dominiert und müsse von den Frauen zurückerobert werden. Grammatikalisch geht es darum, das generische Maskulin, also Wörter wie Lehrer, um eine Endung zu erweitern, die auf die weiteren Geschlechter hinweist (-In bzw. -Innen). Da man Wörter wie Lehrer (im Plural) meist für eine Gruppe verschieden geschlechtlicher Personen verwendet, diese aber aufgrund des internalisierten Bilds der Geschlechterrollen nicht immer auf jedes Geschlecht gleich bezieht, soll die neue Endung darauf hinweisen. Dieses ist für Aktivisten das ausschlaggebende Argument, weswegen Gendern notwendig sei. Hierbei wird sich häufig auf Studien berufen, die beweisen, dass Menschen verschiedenen Berufsgruppen wie z. B. Professoren oder Sekretären ein bestimmtes Geschlecht zuordnen. Für den Versuch wurden Kinder gebeten, die Adjektive männlich und weiblich verschiedenen Berufsbezeichnungen zuzuordnen. Mit einem Professor assoziierten die Kinder eher männliche Personen und mit Sekretären weibliche. Um diesen Rollenbildern von Mann und Frau entgegenzuwirken, entwickelten Pusch und Trömel-Plotz die Idee des Genderns.
Die Forderung wurde seitdem und insbesondere in den letzten Jahren von feministisch motivierten Aktivisten und Politikern versucht durchzusetzen. Die Betonung liegt dabei auf dem Wort „versucht“, denn die geschlechtsgerechte Sprachgestaltung begeistert seitdem nur Teile der Bevölkerung. Ein Grund dafür: „Die Verhetzung der deutschen Sprache“, wie es so oft von leicht rechts angehauchten Männern im Seniorenalter heißt, wenn sie in fragwürdigen Foren ihrem Ärger über den Feminismus Luft machen. Dass diese die Bedeutung des Themas nicht verstanden haben, ist offensichtlich, doch was steckt tatsächlich hinter dem Argument? Beim Gendern gibt es keine einheitliche Rechtschreibform. Stattdessen findet man unzählige Variationen, die parallel verwendet werden. Zum einen kann durch Sonderzeichen gegendert werden. Da gibt es z. B. den Schrägstrich (Lehrer/innen), das Gender-Sternchen (Lehrer*innen), das Binnen-I (LehrerInnen) oder den Gender Gap (Lehrer_innen), um hier nur ein paar zu nennen. Auch gibt es Formen, die im alltäglichen Sprachgebrauch bereits verwendet werden, wie die Doppelnennung (Lehrer und Lehrerinnen) oder die Begriffsneutralisierung (die Lehrenden). Jede Form besitzt dabei ihre Vor- und Nachteile, weswegen, anstatt sich auf eine zu einigen, ständig neue Möglichkeiten ins Leben gerufen werden, die nicht die anderen ersetzen, sondern zu einer Vielzahl ergänzen. Zudem bleibt es mit der Anpassung nicht bei Substantiven. Auch Possessivpronomen müssen berücksichtigt werden. Bei komplizierten Sätzen kann das den Lese- und Schreibfluss massiv beeinträchtigen, wie es zu Beginn im Aufgabentext des österreichischen Schulbuchs der Fall war.
Das Problem der verkomplizierten Sprache führt uns zum nächsten Punkt. Die Gender-Debatte hat sich das Ziel gesetzt, Diskriminierung vorzubeugen, doch wo der eine Nachteil verkleinert werden soll, wird ein anderer ausgebaut. Die Form des Genderns durch Sonderzeichen, die es Sätzen wie dem obigen ermöglicht, bald überall aufzutauchen, erschwert es Personen, die unter einer Lese-Rechtschreibschwäche leiden, am Alltag teilzunehmen. Wird in Zukunft Gendern als Rechtschreibreform eingeführt - was sich viele Gender-Befürworter wünschen - wird die Diskriminierung der rund 12 % der Personen mit geringer Literalität eindeutig gefördert. Zudem bezieht sich diese Zahl nur auf Muttersprachler. Berücksichtigt man Personen mit Migrationshintergrund, die die deutsche Sprache lernen wollen, bzw. aufgrund von z. B. Arbeitsstellen sogar müssen, steigt die Zahl deutlich. Zählt die korrekte Form des Genderns dann auch noch zur Benotung in Schulen sowie Universitäten, wie es in manchen Institutionen bereits der Fall ist, erleiden diese Personen einen eindeutigen Nachteil, welcher ein erheblicher Eingriff in die Chancengleichheit darstellen würde.
Des Weiteren unterliegt die Debatte rund ums Gendern dem Henne-Ei-Problem. Was kam zuerst: die Henne oder das Ei? Eine Frage, auf die es auf den ersten Blick keine Antwort gibt. Das Problem: Die Frage ist die falsche. Wenn davon ausgegangen wird, dass sie die Lösung beinhaltet, kann sie nicht beantwortet werden. Wird sich allerdings mit dem Hintergrund der Frage beschäftigt, so wird erkannt, dass die Frage doch zu beantworten ist. Die Gender-Debatte leidet unter dem gleichen Konflikt. Gerade rückt der Fokus immer mehr auf die Frage: „Wie gendert man am besten?“, und nicht: „Trägt Gendern überhaupt zur Beseitigung von Problemen bei?“ Um das Ziel der Bewegung zu erfüllen, muss, wie beim Henne-Ei-Problem, das Blickfeld erweitert werden. Erst dann kann wieder über den eigentlichen Konflikt - nämlich die Rollenbilder - gesprochen werden. Schließlich geht es nicht darum, wer am besten gendern kann, sondern darum, wie Gleichberechtigung am besten gelebt wird.
Seit den 70er Jahren versuchen Sprachwissenschaftler den besten Weg zu finden, um zu gendern. Gäbe es eine eindeutige Antwort, hätte sie sich in den knapp 50 Jahren der Diskussion bereits etabliert. Nun sollten wir nicht ein halbes Jahrzehnt Diskurs verwerfen, denn das Problem der Geschlechterrollen besteht immer noch. Doch kann dieser Konflikt wirklich mithilfe eines sich ständig selbst ersetzendem Sonderzeichen gelöst werden? Eher sollten sämtliche Gender-Formen, die Sonderzeichen beinhalten, abgeschafft werden. Sie führen zum Verkomplizieren der Sprache, fördern Diskriminierung und können zum Teil nur inkonsequent genutzt werden. Die einfachere Lösung wäre es, die neutralen Begriffe, also z. B. die Lehrenden, zu verwenden. Ein radikalerer Vorschlag wäre es, das generische Maskulin allumfassend für jedes Geschlecht zu benutzen. Nicht nur im Plural, sondern auch im Singular würden Frauen und Diverse damit auf die Ableitung des weiblichen Begriffs vom generischen Maskulin zu verzichten. Aus Lehrerin wird Lehrer. Dieses grammatikalische Phänomen gab es bereits zu DDR-Zeiten. Die vergleichsweise vielen Frauen, die dort arbeiteten, bezeichneten sich z. B. auch als Lehrer. Da ich diese Lösung für erfolgreich halte, wende ich sie bereits in diesem Essay an. Außerdem verwende ich aus diesem Grund in den obigen Angaben zu Schule und Kurs den Begriff Fachlehrer. Das Geschlecht des Fachlehrers ist irrelevant bzw. lässt sich, wenn nötig, anhand des Vornamens erkennen. Wenn die Information über das Geschlecht relevant wird, können geschlechtsbestimmende Adjektive, wie im Englischen (der weibliche Lehrer/ the female teacher) vor dem Wort hinzugefügt werden. Auf diesem Weg könnten sich die Frauen (und die Diversen) - um es in Luise F. Puschs Worten auszudrücken - die Sprache zurückerobern.
Interessanter Beitrag 👍
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