Das Abi in der Tasche – und jetzt ein Auslandsjahr? Von Valea Elß.
Hallo! Ich bin Valea. Ich habe 2021 am WG mein Abitur gemacht und arbeite jetzt als „Teaching and Boarding Assistant“ an dem Londoner Internat „St Margaret’s School“. Das bedeutet, dass ich als Assistenzlehrkraft den Unterricht und das Internatsleben aktiv mitgestalte, zum Beispiel indem ich selbst Deutschunterricht gebe, die Lehrer*innen in weiteren Fächern unterstütze, Ausflüge und Projekte organisiere und noch vieles mehr.
Hier im Blog der WGtarier-Schulzeitung möchte ich euch in meinen Arbeitsalltag mitnehmen und euch so einen Einblick in die englische Kultur und das Leben an einem britischen Internat verschaffen. Wenn du dir vorstellen kannst, selbst einmal ein Auslandsjahr nach dem Abitur zu absolvieren, dich für das Leben in England interessierst oder einfach neugierig bist, ob es an einem Londoner Internat tatsächlich so aussieht wie bei Harry Potter, dann begleite mich doch auf meiner besonderen Reise durch das englische Schuljahr!
Wenn wir zur Schule gehen, dann fühlt es sich manchmal so an, als würden wir für immer Schülerin oder Schüler bleiben. Doch auch wenn dreizehn Jahre wie eine unendlich lange Zeit erscheinen mögen, schneller als man denkt liegen selbst die Abiturprüfungen hinter einem – und vor einem liegt: das „richtige“ Leben.
Was nun? Womit füllt man seine Zeit, wenn nicht mit Unterricht, Hausaufgaben und Klassenarbeiten? Vielleicht sollte man gleich anfangen zu studieren oder eine Ausbildung machen? Oder vielleicht doch erst ein Praktikum oder ein Freiwilliges Soziales Jahr?
Ich habe schon in der zweiten Klasse entschieden, dass ich Lehrerin werden wollte, und das ist bis heute mein großer Traum geblieben. Trotzdem wusste ich in der dreizehnten Klasse noch nicht, ob ich wirklich sofort mit dem Studium beginnen wollte. Viele meiner älteren Freundinnen, die jetzt bereits mitten im Studium stecken, hatten vorher ein Jahr im Ausland verbracht. War das nicht vielleicht auch etwas für mich? Auf einer langen Autofahrt nach Rügen in den Herbstferien 2020 machte ich mich deshalb an die Arbeit und schrieb eine Liste: (Warum) lohnt es sich, ein Auslandsjahr nach dem Abitur zu machen?
1. Sprachliche Erfahrungen sammeln Das erste Argument für ein Auslandsjahr liegt wohl auf der Hand: Egal ob es nach Amerika, Asien oder Australien geht – wenn man für ein Jahr in ein anderes Land zieht, muss man sich wohl oder übel mit den Menschen im Ausland verständigen können. Auf diese Weise trainiert man das Hörverstehen, die Aussprache, Vokabular und Grammatik ganz automatisch – und häufig sogar effektiver, als würde man stundenlang im eigenen Zimmer Vokabeln auf Karteikarten vor sich hin pauken. Insbesondere wenn man einen Beruf anstrebt, in dem Englischkenntnisse gefragt sind (und das ist heutzutage nicht selten der Fall), wird das Auslandsjahr zu einer Erfahrung, von dem man sein ganzes Leben lang profitiert.
2. Eine neue Kultur kennenlernen Neben der Sprache erfährt man bei der Kommunikation mit Einheimischen natürlich auch viel über deren Kultur. Und nicht nur das: man erlebt sie auch noch hautnah. Hierzu ein kleines Beispiel: Im Herbst 2019 nahm ich am China-Austausch hier am WG teil. Im Vorhinein hatte ich viel über die berühmten chinesischen Tee-Zeremonien gelesen und unser chinesischer Fremdenführer hatte mir exakt geschildert, wie er gemeinsam mit seiner Familie fast wöchentlich eine solche Tee-Zeremonie abhielt. Nichtsdestotrotz war es etwas ganz anderes, als ich dann tatsächlich selbst in einem gemütlichen Tee-Stübchen mitten in Shanghai saß und der berühmten Zeremonie persönlich beiwohnte. Ich fühlte mit den Fingerspitzen die kleine Tasse, die ich in der Hand hielt, ich roch den intensiven Duft verschiedener Teesorten, schmeckte das heiße Getränk auf meiner Zunge und hörte der freundlichen Chinesin zu, die uns mehr und mehr Teesorten mit Begeisterung präsentierte. Diese lebendige Erfahrung kann kein schriftlicher oder mündlicher Bericht jemals ersetzen. Und wenn ich kurz die Augen schließe, dann habe ich heute noch immer den intensiven Duft der Teeblätter in meiner Nase.
3. Neue Freunde finden „Freunde sind wie Sterne. Du kannst sie nicht immer sehen, aber du weißt, sie sind immer für dich da.“ Wer kennt ihn nicht, den Spruch, der mittlerweile auf jeder Tasse, jeder Geburtstagskarte und jedem Frühstücksbrettchen steht? Und auch wenn dieser Satz aufgrund seiner Popularität ziemlich abgenutzt ist, so ist er doch weiterhin wahr: Die Freundschaften, die man während seines Auslandsjahres sammelt, halten häufig ein ganzes Leben lang, auch wenn nach der Rückkehr ins eigene Heimatland hunderte von Kilometern getrennt ist und sich nicht jeden Tag sehen kann. Ich habe in Österreich beim Wandern eine junge Frau aus Tschechien kennengelernt, mit der ich mich auf Anhieb gut verstanden habe. Wir schreiben heute noch und ich kann mir sicher sein, dass ich sie jederzeit anrufen kann, falls ich mich mal im Urlaub in Prag verlaufen sollte.
4. Wachsen Stellt euch vor, ihr steht in der Londoner U-Bahn und seid gerade auf dem Weg zurück zu eurer Einsatzschule, in der ihr wohnt und die etwas außerhalb der Stadt liegt. Plötzlich fängt es an zu gewittern und nach erschreckend kurzer Zeit erhaltet ihr die Nachricht, dass alle U-Bahnen und Busse zu eurer Schule aufgrund des Unwetters ausfallen. Was nun? Mama und Papa sind zwei Flugstunden von euch entfernt, ebenso wie die besten Freunde in der Heimat. Dieses Szenario ist meiner Freundin während ihres Auslandsjahres wirklich passiert. Und auch wenn die Vorstellung, alleine in der Londoner U-Bahn zu stehen und nicht nach Hause zu kommen, schrecklich klingt, Erfahrungen wie diese machen einen stärker. Während eines Auslandsjahres lernt man, einen kühlen Kopf zu bewahren, Herausforderungen anzunehmen und Probleme zu lösen. Und später erinnert man sich an Erlebnisse wie diese zurück und kann über die eigene Unsicherheit lachen. Meine Freundin ist an diesem Abend übrigens mehrere Meilen nach Hause gelaufen.
5. Abenteuer erleben Wünschen wir uns das nicht alle irgendwann einmal? Einfach in einen Flieger zu steigen und niemals wiederzukommen, einfach nur, um dem immer gleichen Alltag zu entfliehen? Wir verfolgen als Schülerinnen und Schüler einen ganz bestimmten Tagesablauf, der sich wöchentlich wiederholt und thematische Einheiten im 45-Minutentakt strukturiert. Da bleibt wenig Zeit für Unerwartetes. An der Universität oder während der Ausbildung verläuft es meist ähnlich. Aber warum von einer Routine in die nächste springen? Warum nicht etwas Neues ausprobieren, hinaus in die große weite Welt reisen und unbekannte Orte entdecken? Das Studium läuft nicht weg – auch nächstes Jahr kann man noch an seiner Lieblingsuni seinem beruflichen Traum nachgehen. Das Auslandsjahr wird einem so viel Wissen, Kontakte und Erinnerungen bescheren, von denen man sein ganzes restliches Leben lang profitieren wird.
As wir nach einer stundenlangen Autofahrt endlich auf Rügen angekommen waren, stand meine Entscheidung fest: Ich möchte nach dem Abitur ein Jahr im Ausland verbringen. Und ich würde auch jedem anderen dazu raten, der Freude am Reisen und am Kennenlernen neuer Kulturen, Menschen und Sprachen hat, der sich selbst finden und weiterentwickeln will. Falls ihr zu denjenigen gehört, die jetzt begeistert nicken oder zumindest mit einem kleinen Lächeln heimlich an sich selbst denken, dann bleibt doch dran und lest auch weiterhin meine Berichte. Auf diese Weise erfahrt ihr, was für eine Art von Auslandsjahr zu euch passen könnte, wie ihr eurer Auslandsjahr organisiert und was ihr von einem Auslandsjahr in England uns speziell an einem Londoner Internat erwarten könnt. Bis zum nächsten Artikel!
Fotos: Valea Elß.