Die
Trennung zwischen Fühlen und Gefühlen, eine moralische Frage. Von Diego Umaña Castro
Ich sah zu, wie mein Vater das Frühstück meiner Mutter
vorbereitete, dabei unterhielten wir uns über die morgige Präsidentschaftswahl
in Kolumbien, mein Geburtsort: ein Land, in dem seit fünfzig Jahren Bürgerkrieg
herrscht. Dieser bewaffneter Konflikt ist bereits für das Verschwinden von
220.000 Menschenleben verantwortlich. Rechts- und linksextremistische Guerillas
verwüsten seitdem das Land, es kommt oft zu blutigen Konfrontationen oder Massakern,
wo ganze Dörfer dem Boden gleichgemacht werden. Mit meinem Vater kamen wir auf
eines davon zu sprechen.
Am Anfang hielt er sich zurück, dann aber konnte ich ihn, mit etwas Besorgnis, zu einer Aussprache bewegen. Mir reichte es aus, zu wissen, dass die Verbrecher mit abgetrennten Köpfen Fußball gespielt und Frauen auf widerwärtige Weise vergewaltigt haben.
Die Unterhaltung folgte dem Hauptgedanken der Akzeptanz gegenüber dem Unerlaubten in der Gesellschaft. Der Gebrauch des Ausdrucks „das Böse” erscheint mir in diesem Fall als unzureichend.
Wir sprachen über das Gleichgewicht zwischen dem, was gelehrt wird, und dem, was wirklich passiert. Zusammengefasst: wenn dir gelehrt wird, keinem Menschen Leid zu tun, und du es trotzdem mehrmals am Tag siehst, dann beginnst du, es zu akzeptieren, bis du es selber tust. Dieser Sachverhalt zeigt eine unzureichende Deckung des moralischen Wertesystems der westlichen Zivilisation.
Mit den Ergebnissen meiner phänomenologischen Ausarbeitungen war es mir möglich, das Gespräch zu lenken. Eines meiner Hauptpostulate ist die Amnestieabgabe des Menschen an erdachte Instanzen seiner Vorstellung. Mein Vater fand Gefallen an diesem Gedanken. Was ist darunter zu verstehen? Sobald der Mensch an Gefühle glaubt, anstatt zu fühlen, dann beginnt er zu leiden. Mögen es Hass, Liebe, Neid, Begierde, Nostalgie, Melancholie oder Ähnliches sein. Wenn wir unserem Empfinden einen Namen geben, ist ein Freiheitsverlust die daraus resultierende Konsequenz. Wir richten unser Handeln nach dieser von uns erdachten Vorstellung.
Ich nenne dieses Abgeben von Freiheit Amnestie, weil der Mensch auf diese Weise nicht mehr Herr seiner Handlungen ist. Wir tun das, was wir tun, weil wir an etwas glauben, vom dem wir uns vorstellen, es zu empfinden. Das ist der wichtigste Aspekt bezüglich Leiden und Moral. Wenn wir an eine Instanz – hier: die nur vorgestellten Gefühle anstelle des wirklichen Fühlens – außerhalb unserer selbst glauben, dann sind wir für Rücksichtslosigkeiten anfälliger.
Wenn ein Mensch vor mir steht, beschäftige ich mich, sein Verhalten beurteilend, mit den Gefühlen, von denen ich annehme, dass er sie fühlt. Aber ich beschäftige mich nie mit seinem Fühlen selbst.
Diese Gesellschaft – nicht nur die kolumbianische: die
kapitalistische allgemein – handelt nur mit Gefühlen, aber nie mit dem Fühlen
der Dinge. So ein Verhalten ist feige
und wird befürwortet, weil es in einer Wachstumsgesellschaft keine Zeit mehr
gibt, um sich ausgiebig und gründlich mit dem Empfinden der Dinge zu
beschäftigen. Dabei ist es genau das, was alle Menschen gemeinsam haben. Unsere
Gefühle (die Vorstellungen davon) trennen uns – das Fühlen stattdessen mündet
im Frieden und vereint die Menschheit.Am Anfang hielt er sich zurück, dann aber konnte ich ihn, mit etwas Besorgnis, zu einer Aussprache bewegen. Mir reichte es aus, zu wissen, dass die Verbrecher mit abgetrennten Köpfen Fußball gespielt und Frauen auf widerwärtige Weise vergewaltigt haben.
Die Unterhaltung folgte dem Hauptgedanken der Akzeptanz gegenüber dem Unerlaubten in der Gesellschaft. Der Gebrauch des Ausdrucks „das Böse” erscheint mir in diesem Fall als unzureichend.
Wir sprachen über das Gleichgewicht zwischen dem, was gelehrt wird, und dem, was wirklich passiert. Zusammengefasst: wenn dir gelehrt wird, keinem Menschen Leid zu tun, und du es trotzdem mehrmals am Tag siehst, dann beginnst du, es zu akzeptieren, bis du es selber tust. Dieser Sachverhalt zeigt eine unzureichende Deckung des moralischen Wertesystems der westlichen Zivilisation.
Mit den Ergebnissen meiner phänomenologischen Ausarbeitungen war es mir möglich, das Gespräch zu lenken. Eines meiner Hauptpostulate ist die Amnestieabgabe des Menschen an erdachte Instanzen seiner Vorstellung. Mein Vater fand Gefallen an diesem Gedanken. Was ist darunter zu verstehen? Sobald der Mensch an Gefühle glaubt, anstatt zu fühlen, dann beginnt er zu leiden. Mögen es Hass, Liebe, Neid, Begierde, Nostalgie, Melancholie oder Ähnliches sein. Wenn wir unserem Empfinden einen Namen geben, ist ein Freiheitsverlust die daraus resultierende Konsequenz. Wir richten unser Handeln nach dieser von uns erdachten Vorstellung.
Ich nenne dieses Abgeben von Freiheit Amnestie, weil der Mensch auf diese Weise nicht mehr Herr seiner Handlungen ist. Wir tun das, was wir tun, weil wir an etwas glauben, vom dem wir uns vorstellen, es zu empfinden. Das ist der wichtigste Aspekt bezüglich Leiden und Moral. Wenn wir an eine Instanz – hier: die nur vorgestellten Gefühle anstelle des wirklichen Fühlens – außerhalb unserer selbst glauben, dann sind wir für Rücksichtslosigkeiten anfälliger.
Wenn ein Mensch vor mir steht, beschäftige ich mich, sein Verhalten beurteilend, mit den Gefühlen, von denen ich annehme, dass er sie fühlt. Aber ich beschäftige mich nie mit seinem Fühlen selbst.
Es kommt mir so vor, als würde sich, leider, auch meine Ausarbeitung als ein Wertesystem herauskristallisieren, das diese Trennung einschließt. Gefühle bilden sich schließlich, wenn der Mensch mit seinem beschränkten Bewusstsein versucht, sein Empfinden zu verstehen.
- Unser Autor Diego Umaña Castro gehört zur Abiturientia 2014. Er stammt aus Kolumbien. 2008 kam Diego nach Deutschland und ist seitdem auch WG-Schüler. Er plant, Chemie und danach Philosophie zu studieren. Danach will er in seinem Heimatland politisch aktiv werden. Sein Denken ist u. a. beeinflusst von den französischen Existentialisten Jean-Paul Sartre und Albert Camus sowie Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Außerdem ist Diego Anhänger der Kagyü-Linie des tibetischen Buddhismus.
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