Freitag, 26. September 2025

Systemsprenger

„Andere Wirklichkeitskonstruktionen als man selbst“. Hendrik Ruppert, Abteilungsleiter für (teil-) stationäre Jugendhilfe der AWO Braunschweig, spricht mit Clara Kuhle (9ms1) und Emma Stiepel (9m1) über seine Arbeit.

 


 

Wie bist du zu dem Job gekommen?

Ich habe Fachabitur Sozialwesen gemacht, habe dann Soziale Arbeit studiert, später den Master in Sozialmanagement gemacht und mich dann hier beworben. Ich wollte gerne die Möglichkeit haben, Jugendhilfe mit zu gestalten.

Wie lange machst den Job schon und wie lange hast du vor, das zu machen?

Hier bin ich jetzt seit fünf Jahren und sieben Monaten. Wie lange ich das noch mache, kann ich nicht sagen. Es verändert sich ständig irgendwas und deswegen bleibt der Job auch echt spannend.

Ist der Tagesablauf täglich gleich und wie sieht er so aus?

Absolut nein. Ich habe jeden Tag aufs Neue keine Ahnung, was mich alles erwartet. Es ist immer unterschiedlich. Es gibt zwar regelmäßige Termine, Teamsitzungen und ähnliches, aber was drumherum passiert, weiß ich meistens erst, wenn es so weit ist.

Was heißt es, 24/7 erreichbar zu sein und was heißt das für dich und deine Familie?

Es bedeutet erst mal, dass mein Handy durchgehend angeschaltet ist und meine Mitarbeitenden mich immer erreichen können, also auch nachts und am Wochenende. Wir haben mittlerweile das Ganze ein bisschen anders aufgestellt. So habe ich auch Wochenenden, an denen ich nicht erreichbar bin. Da sind meine Kolleginnen und Kollegen dann für mich erreichbar. Was das bedeutet? Dass man sich ein Stück weit einschränkt. Ich kann nicht einfach sagen, ich fahre jetzt mal am Wochenende an die Nordsee mit meiner Familie, weil wir gerade Lust zu haben. Ich muss auch innerhalb kurzer Zeit in der Lage sein, in den Gruppen sein zu können, falls es Notfälle gibt. Das ist dann schon eine Einschränkung für die ganze Familie. Abgesehen davon, ist es auch so, selbst wenn wir planen zu grillen, dass es sein kann, dass ich angerufen werde, dass ich arbeiten muss.

Wie viel vorher musst du denn Urlaub planen, damit alles rechtmäßig abläuft?

Urlaubsplanung machen wir immer im Oktober fürs Folgejahr. Alle Urlaubstage bis auf fünf müssen wir verplanen. Die Wochenendregelung haben wir im Moment noch so, dass wir sie von Monat zu Monat planen. Gestern haben wir uns den Sommer genauer angeschaut und bis einschließlich August alle Wochenenden verteilt. Wenn man besondere Termine hat, kann man das schonmal eintrage. Im September zum Beispiel weiß ich schon, dass ich an einem Wochenende auf jeden Fall frei habe, weil dann Geburtstage anstehen.

Was möchtest du in der nächsten Zeit erreichen?

Ich möchte insbesondere mein Projekt in Goslar weiter voranbringen [ein Projekt für Jugendliche, die aus anderen Wohngruppen rausgeflogen sind, Anm. d. Red.]. Wir sind gerade dabei, das Konzept etwas detaillierter zu schreiben, und wollen weitere Erkenntnisse aus unserer Arbeit gewinnen, die wir übertragen können auf alle anderen Gruppen.

Gibt es Probleme in Goslar, dass ihr das nochmal umstellen müsst?

Nein. Die Schwierigkeit in Goslar ist, dass wir dort nicht wie in den anderen Wohngruppen kein festes Regelwerk haben, an dem sich neue Kolleginnen und Kollegen orientieren können, und es dadurch viel schwieriger ist, mit den Jugendlichen, die dort wohnen, zu arbeiten. Für jüngere Kolleginnen und Kollegen ist es einfacher, wenn man weiß, ich muss dann die Küche abschließen. Wenn der Jugendliche das tut, dann hat das diese Konsequenz. All das haben wir da nicht. Um aber trotzdem ein Rahmenwerk zu haben, an dem sich alle orientieren können und in der Lage sind, fachliche Entscheidungen zu treffen, wollen wir nochmal verdeutlichen, welche Idee hinter dem Projekt in Goslar steht.

Gibt es Erfolgsgeschichten, die dir besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Durchaus. Es gibt immer wieder Jugendliche, bei denen wir sehen, dass unsere Arbeit hilft. In Goslar beispielsweise ist das deutlich kleinschrittiger. In anderen Wohngruppen habe ich es schon erlebt, dass die Jugendlichen, nachdem sie bei uns gewohnt haben, in eigene Wohnungen ziehen konnten, Schulabschlüsse gemacht haben, Ausbildungen begonnen und abgeschlossen haben, sich mit ihren Eltern versöhnt haben. In Goslar müssen wir etwas kleinere Brötchen backen. Da ist es ein großer Erfolg, dass die Jugendlichen bei uns sind und uns vertrauen. Das haben wir in der Kürze der Zeit, im Juli werden es zwei Jahre, trotzdem schon einigermaßen geschafft.

Welche Aufgaben beinhaltet dein Job?

Zum einen bin ich die pädagogische Leitung der Gruppen, das heißt, ich achte darauf, dass hier das Konzept und die pädagogischen Strukturen eingehalten werden. Ich nehme an Hilfeplangesprächen teil, ich berate die Kolleginnen und Kollegen in den Wohngruppen, bespreche mit denen, wie wir pädagogisch mit unseren Jugendlichen arbeiten können. Auf der anderen Seite habe ich durchaus Personalverantwortung, das bedeutet, ich bin für Einstellungen mitverantwortlich, für Personalgespräche, dafür, dass es meinen Mitarbeitenden gut geht, dass sie auch über schwierige Dinge sprechen können mit mir. Ich bin für finanzielle Aspekte in den Wohngruppen verantwortlich, das heißt, ich schaue, dass wir in unseren Budgets bleiben, was Verpflegung angeht, Veranstaltungen, Gruppenbudget, Bekleidungsbudget, aber auch, dass Investitionen getätigt werden, das heißt, wir machen immer eine Investitionsliste für jedes Jahr. Wenn wir beispielsweise einen Schuppen im Garten bauen wollen, müssen wir das im Jahr davor planen, Kosten angeben, und dann habe ich einen bestimmten Zeitraum, in dem ich das umsetzen kann. Wir haben Budgets für die Ausstattung in den Zimmern der Jugendlichen, da achte ich eben auch darauf, dass wir nicht zu viel ausgeben, aber die Jugendlichen trotzdem Sachen für ihre Zimmer kaufen können.

Wie geht ihr damit um, wenn Systemsprenger etwas kaputt machen?

Ja, dann haben wir ein bisschen mehr Geld zur Verfügung. Das haben wir mit den Jugendämtern verhandelt. Es war allen klar, dass das in Goslar eher passieren kann. Auch in anderen Gruppen gehen Dinge kaputt, Jugendliche machen Dinge kaputt, da reicht es manchmal schon, wenn die Schranktür zugeworfen wird und aus den Angeln fliegt. In Goslar haben wir einfach ein bisschen mehr Budget pro Jugendlichen, damit wir kaputte Möbel möglichst schnell reparieren oder ersetzen können.

Ist es nicht auch gefährlich, wenn man alle Systemsprenger in einer Wohngruppe hat?

Ja, das hat seine Risiken und es können sicherlich nicht alle, die unter diesem Begriff subsumiert werden, bei uns wohnen. Das würde nicht funktionieren. Wir müssen schon auch Risikoabschätzungen machen, aber wir versuchen trotzdem, für möglichst viele junge Menschen ein Zuhause zu bieten, die das bisher so nicht erleben durften. Das ist ja meistens der Fall. Die jungen Menschen, die zu uns nach Goslar kommen, das sind diejenigen, die aus anderen Wohngruppen rausgeflogen sind. Oft wegen ihres Verhaltens, aber auch das Verhalten hat ja einen Grund. Und wir versuchen, denen einen Ort bieten zu können, an dem sie einfach sie selbst sein können, nicht verurteilt werden und zur Ruhe kommen können.

Was macht diesen Arbeitsbereich so besonders?

Die Arbeit mit den Menschen. Ich finde es einfach gut, helfen zu können. Es ist besonders, weil man relativ früh im Leben eines Menschen in einen Hilfeprozess einsteigt und wirklich dafür sorgen kann, dass sich das Leben eines Menschen noch nachhaltig ändern kann, obwohl derjenige oder diejenige vielleicht schon sehr viel erlebt hat, was kein Mensch erleben sollte. Das, finde ich, ist eine besondere Herausforderung, eine besondere Aufgabe und das mache ich sehr gerne.

Was sind die Ansprüche, die dieser Job fordert?

Flexibilität, eine gewisse Haltung Menschen gegenüber, sich selbst gegenüber, eine gewisse Robustheit, dass man nicht so schnell gestresst ist, dass man eine gewisse Ruhe auch in kritischen, schwierigen Situationen behält. Empathisches Denken. Ich denke, das ist eine sehr wichtige Eigenschaft, die man braucht, um nicht nur meinen Job, sondern insgesamt in der Jugendhilfe arbeiten zu können. Man muss sich auf die Menschen, mit denen man es zu tun hat, einlassen können, verstehen können, dass sie eine andere Wirklichkeitskonstruktion haben als man selbst.

Wie sind die Jugendlichen untergebracht?

Gut. Die haben alle ein Einzelzimmer. Es gibt tatsächlich gesetzliche Vorgaben, wie groß ein Zimmer sein muss. Ich glaube es sind mindestens zwölf Quadratmeter. Es ist nicht so, dass es Gruppenduschen gibt. Es sind ganz normale Bäder mit Einzelduschen, Einzeltoiletten. Und alle haben ihr eigenes Zimmer. Die Zimmerausstattung ist am Anfang identisch. Wir haben einen Schreibtisch, einen Stuhl, ein Bett und einen Schrank. Danach wollen wir gemeinsam mit den Jugendlichen das Zimmer einrichten. Wenn noch eine Kommode dazukommen soll oder ein Schminktisch, was im Moment sehr angesagt ist, dann kaufen wir das halt nach und nach. Wenn sie Bilder an die Wand hängen wollen, ist das auch kein Problem. Eine Wand streichen, auch das wäre kein Problem. Und so versuchen wir, dass sich jeder Jugendliche sein Zimmer so einrichten kann, dass er sich wohl darin fühlt. Die Gemeinschaftsküche sieht aus wie jede andere Küche. Vielleicht ein bisschen größer, weil alle da sitzen können müssen. Ansonsten haben die Jugendlichen ein ganz normales Zimmer.

Wie sind die Kinder drauf, wenn sie zu dir kommen?

Das ist sehr unterschiedlich, logischerweise. Die meisten sind, wenn sie bei uns aufgenommen werden, skeptisch, manchmal traurig. Es kommt immer darauf an, warum sie bei uns untergebracht werden. Bei den jungen Menschen beispielsweise, die sich selbst beim Jugendamt vermeldet haben und gesagt haben, ich werde zu Hause geschlagen, ich bekomme kein Essen, irgendwelche ganz dramatischen Dinge, die sind erst mal ein Stück weit beruhigt, dass sie bei uns sein können, aber auch noch sorgenvoll, ob das jetzt hält, ob das besser wird als vorher, ob sie es richtig gemacht haben, ob sie ihre Eltern verraten haben. Das ist das Gefühl, was ganz oft kommt. Selbst wenn die Eltern sie vielleicht schlecht behandelt haben, es ist trotzdem ein Loyalitätskonflikt, wenn die Jugendlichen dann bei uns wohnen. Sie müssen sich erst darauf einlassen können, dass es ihnen bei uns gut gehen darf, ohne dass das schlecht für die Eltern ist. Das ist oft eine sehr gemischte Gefühlslage, die die Jugendlichen haben. Wenn sie gegen ihren Willen bei uns sind, sind sie meistens sauer, genervt, sagen uns, dass sie nicht bleiben werden, was auch erst mal in Ordnung ist.

In Goslar zum Beispiel ist es oft so, dass sie sagen, ja, ja, ich weiß schon, was ihr machen wollt, das ist alles doof, ich kenne die Jugendhilfe, die Jugendhilfe ist doof. Dann versuchen wir zu erklären, dass wir anders arbeiten als das, was sie bisher gekannt haben. Und dann sagen sie trotzdem, das glaube ich nicht, ich bin sowieso weg. Dann versuchen wir, nach und nach eine gute Beziehung zu den Jugendlichen aufzubauen. Wenn die Jugendlichen mit mir sprechen wollen, kommt es ein Stück weit darauf an, was sie von mir wollen. Manchmal wenden sie sich an mich, weil sie wollen, dass ich eine Entscheidung des Teams widerrufe. Zum Beispiel, eine Jugendliche möchte neue Schuhe haben, das Team sagt, kannst du haben, klar, aber nicht für 150 Euro, das ist zu viel. Und dann kommt die zu mir und ist ganz freundlich und sagt, ich hätte aber gern und könnten wir nicht, und dann sage ich auch nein. Weil das eben nicht drin ist. Manchmal kommen die Jugendlichen aber auch zu mir, weil sie wütend sind, weil ich vielleicht etwas entschieden habe, was sie doof finden. Oder weil das Team etwas entschieden hat, was sie doof finden. Sie wollen ihren Frust ablassen, das ist auch in Ordnung. Dann versuche ich, mir das anzuhören, nehme die Beschwerde auf und versuche, eine Lösung zu finden. Das geht aber nicht immer. Ich kann nicht alles wahrmachen, was sich Jugendliche so überlegen, das funktioniert nicht.

Wann kommen Jugendliche unfreiwillig in eine Wohngruppe oder zu dir?

Wenn die Eltern sagen, sie schaffen es mit ihnen nicht mehr, zum Beispiel. Also wenn die Jugendlichen viel abgängig sind, nicht zur Schule gehen, Drogen nehmen, klauen. Und die Eltern irgendwann sagen, ich schaffe es nicht, mein Kind so zu erziehen oder so. Für mein Kind da zu sein, dass das einen vernünftigen Lebensweg nehmen könnte.

Aus welchen Gründen sind die Jugendlichen da?

Das sind tatsächlich sehr unterschiedliche Gründe. Es liegt eigentlich immer daran, dass sie dort, wo sie vorher waren, nicht mehr sein konnten. Der Auftakt, warum Jugendliche oder auch Kinder in stationäre Jugendhilfe kommen, liegt meistens im elterlichen Haushalt. Da funktioniert irgendwas nicht mehr gut. Eltern und Kind kommen nicht gut miteinander klar. Es gilt ja erstmal der Grundsatz, dass die Kinder und Jugendlichen letzten Endes nur das umsetzen können, was sie vorher von ihren Eltern beigebracht bekommen haben. Und dann kann es eben sein, dass die Eltern das Kind schlagen. Das ist, sage ich mal, die simpelste Variante. Eltern schlagen Kinder, das geht nicht, darf man nicht, ist streng verboten in Deutschland, zu Recht, zum Glück. Und dann hat das Kind die Möglichkeit, dem Jugendamt Bescheid zu sagen, oder vielleicht merkt es ein Lehrer oder es merkt die Erzieherin im Kindergarten oder der Trainer beim Sport. Dann wird das Jugendamt informiert, die sprechen mit dem Kind und mit den Eltern, und dann wird das Kind untergebracht. Das kann ein Weg sein. Es kann aber auch sein, dass die Eltern einfach mit dem Verhalten des Kindes nicht mehr zurechtkommen, aus welchen Gründen auch immer. Dass das Kind beispielsweise nicht mehr zur Schule geht und sich weigert oder klaut oder vielleicht Drogen konsumiert. Und die Eltern sagen, wir schaffen es nicht, unser Kind weiterhin so zu betreuen, dass wir gut miteinander leben können. Oder dass ein Eltern- oder Geschwisterkind drangsaliert wird, und die Eltern es nicht schaffen, dass es damit aufhört.

Wie verhalten sich die Jugendlichen in den Wohngruppen?

Sehr unterschiedlich. Es kommt immer darauf an, warum sie da sind und was sie gerade so bewegt. Jeder Jugendliche verhält sich anders. Das ist nicht anders als bei euch zu Hause. Vielleicht ein bisschen extremer. Aber vom Prinzip her ähnlich. Dass man nicht immer die gleiche Laune hat, ist normal, auch, dass man sich nicht mit jedem versteht. Das sind ja Zwangsgemeinschaften. Wenn da acht Jugendliche in einer Regelwohngruppe zusammenwohnen, die suchen sich ja nicht aus, mit wem sie zusammenwohnen. Die mögen sich im Zweifelsfall nicht untereinander. Dann kommt es tatsächlich darauf an, wie ist die Laune gerade allgemein. Hat gerade irgendwer mit irgendjemandem Schluss gemacht? Gibt es mit den Eltern Stress, mit den Freunden? Hat man sich mit dem Betreuer gestritten? All das sind Dinge, die zusammenkommen und ein Verhalten beeinflussen. Von daher kann man nicht sagen, die verhalten sich ganz besonders. Die verhalten sich wie ihr auch, nur in der einen oder anderen Situation extremer. Vom Prinzip her sind das ganz normale Jugendliche.

Wie viele Jugendliche sind insgesamt in Wohnheimen?

Bei uns dürften es im Moment 150 sein.

Wie viele Wohneinheiten habt ihr?

Die Untergebrachten haben ungefähr 20 Angebote.

Wie hilfst du den Jugendlichen bei der Entwicklung?

Wir versuchen, ein stabiles Umfeld zu bieten, in dem Jugendliche sich bestmöglich entwickeln können. Das ist unser gesetzlicher Auftrag. Das bedeutet, dass wir versuchen, dass sie einen sicheren Ort haben, an dem es keine Gewalt für sie gibt. Dass sie einen Ort haben, an dem sie sich öffnen können, über ihre Probleme sprechen können. Dass sie Unterstützung bekommen bei allem, was alltäglich so anfällt. Also beim Aufstehen morgens zum Beispiel. Oder Arzttermine vereinbaren, die notwendig sind. Sich mit den Schulen auseinandersetzen. Freizeitangebote planen. Einfach ein Umfeld schaffen, in dem sich Menschen gut entwickeln können.

Müssen manche auch die Schule wechseln, wenn sie in irgendeine Wohngemeinschaft kommen und wie ist das dann für sie, wenn sie auf einer neuen Schule sind und dann noch ohne Eltern?

Natürlich kann es sein, dass sie die Schule wechseln müssen. Wir nehmen ja prinzipiell deutschlandweit auf. Wenn ich eine Anfrage aus München bekomme, dann werden sie die Schule wechseln müssen. Aber das kann unterschiedliche Ausprägungen haben. Für manche ist es gut, weil sie vielleicht vorher schon nicht mehr gut in der Schule zurechtgekommen sind oder keine Freunde hatten, weil sie gar nicht hingegangen sind. Dann ist ein Schulwechsel mit neuen Lehrern, neuen MitschülerInnen tatsächlich etwas Gutes. Für andere ist das schwieriger. Wir versuchen darauf zu achten, dass das möglichst selten passiert. Weil Schule vielleicht eine Instanz war, die konstant war. Gerade bei Eltern, die eine psychische Erkrankung habe, die nicht so stabil sind in dem, wie sie sich verhalten, in dem Fall kann Schule ein Ort sein, an dem die jungen Menschen wissen, da kann ich mich drauf verlassen. Und dann ist es natürlich wichtig, dass sie weiter diese Schule besuchen können. Ist aber nicht immer machbar und natürlich total doof. Dann müssen wir sehen, dass wir als Wohngruppe möglichst konstant für die jungen Menschen da sind, damit es wenigstens dort eine Sicherheit gibt.

Wie hat sich die Arbeit mit den Jugendlichen verändert?

Ich finde, der Drogenkonsum ist anders geworden. Es geht nicht mehr nur ums Kiffen. Es geht deutlich schneller um chemische Substanzen. Es geht mehr um Cybermobbing. Das, was online so los ist, ist ein viel größeres Thema. Wir merken immer wieder, dass die Jugendlichen sich nicht gut abgrenzen können. Bei uns ist es ja so, wenn XY mich über TikTok beleidigt hat, blockieren wir einfach. Die sagen aber, kann ich doch nicht machen. Geht doch nicht. Machen es also nicht. Beschweren Sie sich aber weiter, dass da beleidigt wird. Das ist für mich total sinnlos. Wir müssen uns aber damit beschäftigen, weil das Thema total wichtig ist. Was ich für mich wahrgenommen habe, ist, dass sich die Gewaltbereitschaft nicht verändert hat. Es gibt eine gewisse Gewaltbereitschaft wie in der gesamten Gesellschaft. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass sich grundsätzlich in der Jugendhilfe eine höhere Gewaltbereitschaft zeigt. Wir haben keine großen Übergriffe auf Kolleginnen und Kollegen, keine massiven Übergriffe, auch nicht unter den Jugendlichen. Das ist nicht schlimmer geworden, als es vor 5, 6, 7, 8 Jahren war.

Wie gehst du mit Konflikten unter Jugendlichen um?

Es kommt immer auf den Einzelfall an. Und es kommt auch auf den Konflikt an. Streiten die sich, weil der eine die Nutella leer gemacht hat und der andere aber noch Nutella haben wollte? Oder streiten sie sich, weil etwas gestohlen wurde oder um irgendwas anderes? Und wie intensiv streiten sie sich? Meckern sie sich an? Beleidigen sie sich? Prügeln sie sich? Die Bandbreite ist unglaublich groß. Und entsprechend unterschiedlich gehe ich natürlich mit den Konflikten um. Meistens wird die erste Konfliktbereinigung in der Gruppe gemacht von meinen Mitarbeitenden. Und nur, wenn es ein bestimmtes Maß übersteigt, werde ich dazu geholt. Dann versuche ich mit den Jugendlichen zu sprechen. Wir versuchen immer, es grundsätzlich vernünftig zu klären, indem wir miteinander freundlich darüber sprechen.

 


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