Montag, 26. August 2013

Was uns Cicero zu sagen hat

Sapienta et/contra eloquentia? Wilfried Stroh über den Zusammenhang von Weisheit und Redegewandtheit bei Cicero. Von Adrian Döring
War Cicero ein Philosoph in der Politik oder ein philosophierender Politiker? Und wie sah er sich selber?
Diese Frage stellten sich seit der Neuzeit nicht nur der italienische Dichter Francesco Petrarca (1303-1374) und der deutsche Altertumswissenschaftler Theodor Mommsen (1817-1903), sondern auch Prof. Dr. Wilfried Stroh und seine Zuhörer am Abend des 20. August in der Aula des Hauptgebäudes des Wilhelm Gymnasiums.
„Ciceros Prooemium zu De re publica im Rahmen seines Lebens und Denkens“, so der Titel des Vortrages, zog erfreulicher Weise sehr viele Schüler der Oberstufe an, die einen bedeutenden Anteil des Publikums bildeten.
Prof. Dr. Wilfried Stroh (http://stroh.userweb.mwn.de/main32.html)
Nach der Begrüßung durch Herrn Duwe, Lehrer für Geschichte und Latein am Wilhelm-Gymnasium, begann Stroh - nach einer kleinen Einleitung auf Latein, das man als ganz-und-gar-nicht-tot bezeichnen kann - den thematischen Teil des Vortrages mit sehr gegensätzlichen Antwortversuchen von Petrarca bis ins zwanzigste Jahrhundert: von dem deutschen Althistoriker Christian Habicht (*1926) und dem klassischen Philologen Eduard Norden (1868-1941).
Mit diesen konträren Interpretationen ging Stroh über zu einem Text des jungen Cicero, dessen Titel De inventione (dt. „Über das Auffinden“, gemeint ist: des Redestoffs) einen Ausblick auf das Folgende gibt. In diesem Text tauchen die beiden Grundbegriffe auf, die den ganzen Vortrag durchzogen. Zum einen die eloquentia, die Redegewandtheit, die in Verbindung mit sapientia, der Weisheit, nützlich, ohne sie jedoch schädlich ist. Dieses Verständnis der Symbiose von Weisheit beziehungsweise Philosophie und Rhetorik entspricht, so Stroh, der Vorstellung Platons vom Philosophenkönig, dem idealen Herrscher.
In seinem Werk De re publica (dt. „Über das Gemeinwesen“) scheint er den Standpunkt der Philosophen anzugreifen und ihren Nutzen auf bloße Unterhaltung für die Mußezeiten zu beschränken. Doch der Schein trügt. Cicero vertritt dort zwar eine in Rom zum damaligen Zeitpunkt sehr populäre Meinung, sein Ideal vom Philosophenkönig scheint er jedoch auch hier einzuschmuggeln. Er schafft nämlich eine neue Metapher von der Tugend. Die Tugend, so Cicero, kann man nicht wie irgendeine Kunst beherrschen, sondern sie existiert einzig und allein in ihrer Anwendung. Der deutsche Schriftsteller Erich Kästner (1899-1974) habe dies, so Stroh, auf die Faustformel herunter gebrochen: „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es.“ Cicero will die Tugenden in der Politik umsetzen, von denen die Philosophen „in ihren Winkeln nur große Worte machen“.
Er will also, dass die philosophischen Ideale mithilfe der Politik umgesetzt werden.
Auch wenn Cicero an Tiefpunkten seiner Laufbahn immer wieder in Briefen an seine Freunde damit liebäugelt, sich aus der Politik zurückzuziehen, bleibt er diesem Ideal bis an sein Lebensende treu.
Selbstverständlich kamen bei diesem Vortrag auch noch viele andere Aspekte zur Sprache, die wiederzugeben den Rahmen dieses Artikels sprengen würde.
Durch die sehr lebendige Vortragsweise des Referenten verging die gute Stunde, die der Vortrag in Anspruch nahm, wie im Fluge. Im Anschluss daran hatten die Zuhörer die Möglichkeit, Fragen zu stellen, die Stroh ausführlich beantwortete. Hierbei kam sehr viel Interessantes, auch über Ciceros Persönlichkeit, zu Tage. Zum Abschluss wurde dem sehr engagierten Redner, dem man auch dank eines 14seitigen Handouts sehr gut folgen konnte, von Herrn Conrad, der ihn an das Wilhelm-Gymnasium eingeladen hatte, ein Präsent überreicht. Sozusagen als Dank für einen spannenden, aufschlussreichen, unterhaltsamen und rundum gelungene Abend.

Wilfried Stroh (*1939), studierte in Tübingen, Wien und München Klassische Philologie, promovierte 1967 in Heidelberg und habilitierte sich 1972 in Münster. Von 1972 bis 1976 lehrte er an der Universität Heidelberg, seit 1976 war er ordentlicher Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er 2005 emeritiert wurde. Stroh bemüht sich darum, Latein als lebendige Sprache zu erhalten (nach wikipedia.de).