Samstag, 26. Juli 2014

WG-Klassikabend


Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit. Diego Umaña Castros Gedanken zum Remter-05-Klassikabend
Es gibt die Schüler, die Musik verstehen, und, ja, das war’s. Denn jeder, der eine Musikstunde erlebt hat, kennt die Trennung zwischen den Menschen, die wissen, was für eine Tonleiter das ist, und denjenigen, die aus der Frage danach eine Ratestunde à la „Wer wird Millionär“ machen: A, B, C oder D. Man bemerke, die Schulregelung lässt keinen Telefonjoker zu.
So ist der Klassikabend eine Veranstaltung, die erstmal aus der unermüdlichen und harmonischen Kollaboration unserer an Kultur interessierten Lehrkräfte entsteht; und es ist eine Veranstaltung, die eine Möglichkeit bietet, zu erkennen, wie die Schüler, die besondere Fähigkeiten im Fach Musik haben, diese Musik verstehen und lieben.
Persönlich liebe ich Musik, verstehe sie aber leider nicht. Zum Verständnis der Musik ist Geist nötig, für die Ehrerbietung Herz. Um richtig zu musizieren, braucht man Herz und Leidenschaft. Doch wie klingt der Zusammenhang von Verständnis und Ehrerbietung?
Die Chorklasse WG-Cantorum während der Proben
Die noch junge Chorklasse im ersten Teil des Konzerts und die Solisten aus der siebten und achten Klasse im zweiten Teil waren ein besonderes Schauspiel und Beispiel für die Folgerichtigkeit der Bemühungen.
Das Wort „Bemühungen“ kommt mir aber nicht zutreffend vor, denn wenn man sich angeschaut hat, mit was für einem Enthusiasmus die Kompositionen und Eigenkompositionen vorgeführt wurden, dann kommt es einem so vor, als würde die Entkräftung der Mühe gar nicht vorhanden sein. Mit einer solchen Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit ging alles vor sich, dass die gute Empfindung ein Lächeln bei den Zuschauern hinterließ, alles ganz unterbewusst.
Mitwirkende: WG-Cantorum mit dem Singspiel „Delayed – eine ganz besondere Reise“, Querflöten: Clara Brakebusch und Madita Kuchenbecker, Klavier: Bente Gaumert (alle 8s1) und Joshua Groza (6c), Klavier und Saxophon: Jannis Osterburg und Justus Rahmel (7m1)
Die Planung war anscheinend so lückenlos, das kein Platz für den Nachgeschmack eines gezwungen und bewussten Vorgangs zurückblieb. So führten die Klänge der Musizierenden zu einer gemeinsamen, genussreichen Gestimmtheit der Anwesenden, bemerkbar durch der verdienten Beifall.


Mittwoch, 16. Juli 2014

Philosophisches Café III: Hurricane-Phänomenologie


Hintergrund- und Vordergrundmusik. Diego Umaña Castros Präludien zu einer praktischen Philosophie des Absurden

Mein Besuch des Musikfestivals Hurricane hinterließ eine außerordentliche Menge an Eindrücken. Etwas, das für einen Phänomenologen, einen Menschen, der durch die Wirklichkeitsperzeptionen versucht, das wahre menschliche Wesen zu finden und zu ergründen, eine Menge an Arbeit bedeutet. Aber ich würde mich nicht freiwillig als ein solcher bezeichnen, wenn ich nicht Gefallen an einer solchen Tätigkeit hätte.
Musik gibt's auch bei Festivals
Meine nächtlichen Spaziergänge, inmitten dieses Tumults des Hedonismus zwischen den Zelten des Campinggeländes, waren eine große Motivationsquelle. Ich habe in diesen drei Tagen dort höchstens zehn Stunden geschlafen. Im Augenblick ist mir der Grund, warum ich nicht zusammengebrochen bin, nicht bekannt. Es lag vielleicht an der Musik, meinem übermäßigen Bierkonsum oder an der guten Laune der Menschen in meiner Umgebung. Eine Laune, die oft durch Zurufe wie „Wochenende!“, „Saufen!!“, „Scheiß Arbeit!!!“ meine Aufmerksamkeit erregten. Dieser Zusammenhang ist zu klären.

Ein Festival ist in zwei Gebiete unterteilt: das Festivalgelände und das Campinggelände. So sind auch die gesammelten Eindrücke in zwei Empfindungen geteilt. Die Empfindung des absurden Beisammenseins und die Empfindung der Geschmackstrennung.

Das absurde Beisammensein ist die Empfindung des Campinggeländes. Wenn so viele Menschen zusammen zelten, sich fast ausschließlich von Bier und mitgebrachten Dosengerichten ernähren und es manchmal dazu kommt, dass sie Drogen konsumieren, bildet sich eine einzigartige Atmosphäre. Diese Menschen verzichten auf die Wärme ihrer Betten und auf die Bequemlichkeit der normalen Körperpflege. Alle teilen diesen Verzicht, aber auch den Gewinn, der dadurch entsteht. Der Gewinn ist ein Erlebnis der „Niveaulosigkeit“.

Wenn man sich um vier Uhr morgens erwachsene Menschen anschaut, die zu „I’m a Barbie Girl“ abgehen, ist die Sinnlosigkeit ersichtlich. Die Tanzenden würden sich aber mit Sicherheit nicht im Alltag wiedererkennen. Wenn doch, würde eine gewisse Scham zu erspüren sein. Ernsthaftigkeit ist die Schwelle, die uns von dieser „Niveaulosigkeit“ trennt. Doch nennen wir diese Empfindung besser „Absurdität“, denn jeder von uns trägt diese Absurdität in sich.
Praktischer Hedonismus
Die Gesellschaft und Kultur kontrolliert ganz vernünftig diesen Teil in uns, mit ihren Regelungen und Gesetzen. Man ist nur in bestimmten Situationen bereit, ihr zu folgen: erst nach einem Impuls ist der Absurditätsausbruch befolgbar. Ich kann nicht aus meiner Laune heraus, während ich durch die Stadt gehe, „Strafbier!!!“ rufen. Ich könnte es, würde dann aber mit einer hohen Wahrscheinlichkeit in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden. So ist das Erlebnis, das Festivalbesucher genießen, die Möglichkeit, dieser Absurdität gemeinsam zu folgen. Das, was auf dem Festivalgelände vor sich geht, unterliegt einer anderen Natur.

 Die zweite Empfindung ist die der Geschmackstrennung: Es gibt eine Mannigfaltigkeit an Konzerten für den jeweiligen Musikgeschmack des Besuchers. Ich mag diese Band und gehe dahin, um sie mir anzusehen. Vor einem Augenblick noch waren diese Menschen in einem Kreis und sahen jemanden, der sich ein Bier in vier Sekunden eintrichterte, jetzt trennen sie sich zu den Konzerten, die jeder Einzelne sich anhören möchte. Das Beisammensein wird durch den Musikgeschmack abgelöst. Dieser Geschmack ist eine Neigung des Einzelnen und damit Teil des individuellen Charakters. Wenn der Kern des Beisammenseins die Absurdität ist, dann ist der Kern der Geschmackstrennung die Singularität. Dieses Etwas, das uns einzigartig macht, aber das uns trotzdem trennt.

Auf der einen Seite ist die Absurdität das, was uns vereint, und auf der anderen die Singularität, die uns trennt. Im Alltag sind beide zu finden. Die Absurdität lässt sich als eine Hintergrundmusik beschreiben und die Singularität als Vordergrundmusik. Im alltäglichen Umgang mit anderen Menschen bekommen wir nur die Vordergrundmusik zu spüren. Nur wenn es zu einem Bruch dieser Ernsthaftigkeit kommt, ist die Hintergrundmusik hörbar.

Jeder von uns besitzt die Absurdität und die Singularität in sich. Bei Events wie Musikfestivals, am Wochenende saufen gehen oder dem Public Viewing eines WM-Spiels ist dieser Bruch zu spüren: in dem Augenblick, wo jeder „Tor“ ruft, zu einem Lied mitsingt, also auf seine Singularität verzichtet – wegen der höheren Empfindung einer geteilten Absurdität. Es ist unvermeidlich, dass ich die Absurdität des Menschen, der vor mir steht, nicht spüren kann. Dennoch sollte an der Existenz einer solchen geteilten Wesenseigenschaft beim alltäglichen Umgang gedacht werden. Ein Einklang zwischen den zwei vorhandenen Melodien sollte angestrebt werden, um ein friedliches Leben zu führen.

Und es findet sich zwischen diesen beiden Melodien eine dritte, die beide in sich trägt. Diese enthält unsere Träume, Hoffnungen, Geheimnisse, Ängste, die Summe aller persönlichen Neigung, unsere Erinnerungen. Unsere Vergangenheit und unsere Zukunft. Das unwirkliche Ich, die absurde Singularität. Im Augenblick.

Nach dem Exzess ist vor dem Exzess. Das erstrebte friedliche Leben?
Dieses Etwas ist als Ganzes nie zu spüren. Nur Abschnitte kann das Bewusstsein sich vergegenwärtigen: eine konfliktschaffende Vergesslichkeit der Mischung beider Melodien. Die Singularität ist das, was die anderen von ihr spüren. Die Absurdität ist das, was wir manchmal zu spüren bekommen. Diese Musik ist die wahre Identität. Der Einklang von Hintergrundmusik und Vordergrundmusik. Das, was wir dauerhaft spüren, aber dennoch nicht gänzlich fühlen können. Konflikte entstehen, wenn Menschen nur aus Ihrem Empfinden der Vordergrundmusik ihr Handeln begründen und dabei die Existenz der Identität und Absurdität vergessen. Um ein friedliches Leben zu führen, ist eine Konzentration nötig.

Man kann sich die Existenz dieser drei Wesenseigenschaften nicht vorstellen, sondern muss sie spüren. Kurz schweigen und hören, welche Musik in unserem Wesen spielt.
  • Unser Autor Diego Umaña Castro gehört zur Abiturientia 2014. Er stammt aus Kolumbien. 2008 kam Diego nach Deutschland und ist seitdem auch WG-Schüler. Er plant, Chemie und danach Philosophie zu studieren. Dann will er in seinem Heimatland politisch aktiv werden. Sein Denken ist u. a. beeinflusst von den französichen Existentialisten Jean-Paul Sartre und Albert Camus sowie Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Außerdem ist Diego Anhänger der Kagyü-Linie des tibetischen Buddhismus.


Fotos: Diego Umaña Castro und Ben-Ole Holtz

Freitag, 11. Juli 2014

Nachgefragt: Herr Kuttig

Zu viele Vorschriften hemmen die Kreativität. Paula Caesar im Gespräch mit Ulrich Kuttig

Größe:
       1,76 cm
Haarfarbe:
       mehrheitlich grau
Augenfarbe:
       blaugrau
Herkunft:
       Deutschland,
       Thüste
Hobbys:
       Fotografieren,
       Pflanzen, Lesen,
       Fahrrad fahren
Geburtstag: 04.10.1964
Status: unterrichtet Kunst und Deutsch

Warum sind Sie ans WG gegangen?
Ich habe mich nicht direkt am WG beworben. Ich kannte die Schule nicht. Vorher war ich an einer Schule, die weit weg war, und weil ich keine Lust mehr auf die langen Autofahrten hatte, habe ich mich für eine Braunschweiger Schule beworben. Und am WG war wohl gerade eine Stelle frei!

Wie lange unterrichten Sie schon am WG / insgesamt?
Insgesamt unterrichte ich seit 15 Jahren, am WG seit 12 Jahren.

Wieso sind sie Lehrer geworden?
Ich wusste ganz lange nicht, welchen Beruf ich erlernen sollte. Ich wollte aber immer in einem Bereich arbeiten, von dem ich glaubte, dass er für mich und für andere Menschen von großer Bedeutung wäre. Da hatte ich als erstes die Kunst entdeckt, wo es, allgemein gesagt, darum geht, sich ein Bild von der Welt, und also auch von sich selbst, zu machen. Ich wollte also ein berühmter Künstler werden. Nach einer Weile bemerkte ich, dass meine Bilder mit denen, die frühere und berühmte Künstler gemacht haben, nicht konkurrieren können. Aber mir fiel auch auf, dass mich das künstlerische Arbeiten dennoch weiter sehr interessierte und dass es mich auch interessierte, Künstler, ihre Werke und ihre Zeit kennenzulernen. Und den Vorgang des Lernens überhaupt fand ich sehr spannend, und zwar nicht nur das Lernen in der Schule. Weil das ja etwas ist, das für jeden Menschen von großer Bedeutung ist. Die Leute, die am meisten lernen, sind Kinder und Jugendliche. Erwachsene lernen viel weniger. So war ich also in einem Bereich, den ich gesucht hatte.

Was gefällt ihnen am meisten daran, Lehrer zu sein?
Es gibt vieles, was mir daran gefällt. Die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, bereichern mich. Es ist ein Beruf, in dem es mir kaum jemals langweilig wird.

Was gefällt ihnen daran nicht?
Mir gefällt es nicht, wenn zu viele Vorschriften für die Schule gemacht werden. Zum Beispiel gefällt mir das Zentralabitur nicht. Das Lernen in der Schule ist auch abhängig davon, welche Schüler und welche Lehrer zusammenkommen. Je mehr man das berücksichtigen kann, umso intensiver wird das Lernen. Wenn es aber zu viele Vorschriften gibt, kann man das nicht mehr so gut berücksichtigen. Man lernt weniger, vor allem weniger von dem, was für einen selbst wichtig ist. Das gilt besonders im Fach Kunst. Es ist ok, wenn es einen Rahmen gibt, aber in dem muss man sich bewegen können. – Es gefällt mir auch nicht, schlechte Noten zu geben!

Ist es sehr anstrengend?
Ja, es ist oft anstrengend. Man nimmt viele Gedanken und viel Arbeit mit nach Hause. Ich empfinde es auch oft als schwer, die Arbeit abzuschließen. Wenn man in einer Fabrik arbeitet, dann weiß man, sobald man draußen ist, hat man frei. Das ist als Lehrer anders.

War das früher schon ihr Traumberuf?
Als ich Schüler war, wollte ich niemals Lehrer werden. Ich habe es damals sehr stark empfunden, dass Lehrer und Schüler Rollen spielen. Das hat mich sehr befangen gemacht und durcheinander gebracht.

Wenn nein, was dann? Wieso?
Früher wollte ich Künstler werden, weil ich gerne zeichnete und malte und weil ich für meine Zeichnungen und Gemälde viel Lob und Anerkennung bekam.
Ich habe, bis ich Lehrer wurde, ungefähr 35 Jobs gemacht. Dadurch habe ich großen Respekt vor der Arbeit von anderen bekommen. Ich habe zum Beispiel Maschinen gereinigt, wo hinterher die Maschine sauber war, aber man selber völlig verdreckt, oder unglaublich monotone Arbeiten. Deswegen schätze ich den Beruf, den ich jetzt habe sehr und gleichzeitig gefällt es mir nicht, wenn jemand z. B. die Putzfrauen im WG und ihre Arbeit nicht respektiert.

Wieso unterrichten Sie Deutsch und Kunst?
Deutsch beschäftigt sich mit Sprache und Kunst mit Bildern. Das sind die wichtigsten Möglichkeiten, wie wir Menschen uns verständigen können. Und das finde ich faszinierend.

Da Sie ja die Homepage machen: Sind sie ein Computerfreak?
Ein Freak ist ein Verrückter. Also, verrückt nach Computern bin ich nicht, obwohl es mir manchmal schwer fällt, den Computer abzustellen.

Warum sieht die Homepage so aus, wie sie aussieht?
Herr Gründel hat die WG-Homepage als erster bearbeitet. Von seiner Gestaltung habe ich einiges übernommen und vieles auch verändert, weil die Homepage mit der Zeit für die Schule als Informationsmöglichkeit immer wichtiger wurde. Das Design ist jetzt sieben Jahre alt, und ich würde es gerne etwas modernisieren, aber im Moment habe ich dazu keine Zeit.

Machen Sie bei sich zuhause auch Kunst?
Ich male gerne mit meiner Tochter gemeinsam Bilder. Außerdem mache ich Fotos.

Unterrichten Sie lieber Unter-, Mittel- oder Oberstufe, und warum?
Es gibt da eigentlich keine großen Unterschiede. Ich habe festgestellt, dass Schüler in jedem Alter gerne Kunst machen. Beim künstlerischen Arbeiten wird man nicht automatisch mit steigendem Alter immer „besser“. Manches können jüngere Kinder sogar besser als ältere oder gar Erwachsene.

Wie würden sie sich selber einschätzen?
In welcher Hinsicht? Als Lehrer? Mal besser, mal schlechter. Da ich aber ab und zu mal Lob von Schülern bekomme, wird es insgesamt wohl ganz ok sein.

Was können sie besonders gut?
Ich kann besonders gut Bilder in Rahmen befestigen, so dass sie völlig gerade sind, und das, ohne mit dem Lineal zu messen!

Was machen Sie, wenn sie nichts für die Schule tun?
Ich arbeite z. B. im Garten. Ich interessiere mich sehr für Pflanzen. Ich spiele oft „Kniffel“ mit meiner Tochter.

Wer ist Ihr Lieblingskünstler?
Ich habe nicht einen Lieblingskünstler, sondern bewundere viele Künstler für ihr Werk. In meiner Jugend mochte ich Albrecht Dürer, weil er jedes Detail beobachtete und in seinen Bildern wiedergab. Im Studium habe ich mich viel mit Joseph Beuys beschäftigt. Die letzten Künstler, die ich auch durch den Unterricht näher kennengelernt habe, waren Gerhard Richter und Wim Delvoye. Es gibt aber auch viele „Lieblingskünstler“ in meiner näheren Umgebung, z. B. Herrn Upit, der ein Multitalent ist, oder Herrn Jaeger, der sehr gut zeichnen kann und eine sehr schöne Handschrift hat. Auch Schülerinnen und Schüler überraschen mich immer wieder mit ihren künstlerischen Fähigkeiten.