Freitag, 28. September 2018

Reisebericht Marokko

It‘s a small world. Iman Sibai berichtet von einer unerwarteten Begegnung in Marokko.
Place des Epices bei Nacht
Im Frühling flog ich mit meiner Familie nach Marrakesch, eine der vier Königsstädte von Marokko. Es ist nicht das erste Mal, dass wir unsere Osterferien hier verbringen.
Wie schon oft legen wir den den bekannten Weg vom großen Marktplatz durch die engen, verwinkelten Gassen der Altstadt, vorbei an Ständen mit Gewürzen, Ledertaschen, Teppichen und Teekannen, zum Platz der Gewürze (Place des Epices) zurück.
Kurze Zeit später stehen wir auch schon vor unserem Ziel, dem „Café des Epices“, neben „La Famille“ eines meiner Lieblingscafés in Marrakesch. Wir entscheiden uns sofort für einen Platz auf der Dachterrasse und laufen die enge Wendeltreppe nach oben.

Café des Épices
Auf der einfach eingerichteten, mit bunten Strohhüten dekorierten, aber sehr gemütlichen Terrasse angekommen, suchen wir nach freien Sitzplätzen. Wir schauen uns um, alles scheint besetzt. Nur ein Tisch ist frei, an dem aber bloß zwei Holzhocker stehen. Wir wollen uns gerade wieder abwenden, als eine nette Dame (aus Schweden) am Nachbartisch zwei Hocker lächelnd in unsere Richtung schiebt.
Wir setzen uns an den niedrigen Holztisch mit Blick auf den kleinen, mit Bergen von Ware vollgestellten Place des Epices. Hinter Hausdächern und Minaretten der Medina erkennt man das schneebedeckte, mächtige Atlasgebirge.

Msimn: marokkanische Pfannkuchen mit Sirup
Verschiedenste Sprachen erfüllen die Terrasse, man hört Menschen aus aller Welt ruhig und scheinbar unbekümmert miteinander sprechen, dazwischen die Rufe der lockeren Kellner auf Arabisch, während ein Afrikaner auf seinem afrikanischen Saiteninstrument spielt und dazu singt. Ich verstehe weder ihn, noch viele der Gäste, jedoch klingt alles sehr schön und irgendwie auch beruhigend.
Mein kleiner Bruder und ich wollen noch einmal nach unten auf den Platz laufen, bevor die Sonne untergeht. Gerade, als ich durch die Tür nach unten gehen will, bemerke ich, dass Personen die enge Treppe heraufkommen. Ich trete zurück und ziehe vorsichtig meinen Bruder zur Seite, um die Entgegenkommenden durchzulassen. „Du bist auch hier, Iman?“ Ich schrecke auf, als ich meinen Namen höre. „J-j-ja?“
„Den ganzen Weg von Braunschweig hierher!“ Frau Alimy tritt durch die Tür auf die Terrasse und lächelt mich an – ich bin so fassungslos, dass ich nur ein weiteres „J-j-ja.“ stottere. Auf dem Weg nach unten denke ich darüber nach, wie es sein kann, dass wir, Frau Alimy und ich, uns 3000 km von Braunschweig entfernt im selben Augenblick durch dieselbe Tür quetschen wollten. Hätte es passieren können, dass wir zur selben Zeit im gleichen Café gesessen, aber nichts voneinander mitbekommen hätten? Sind wir uns vielleicht schon vorher begegnet, ohne es zu bemerken? Wären wir so pünktlich aufeinandergetroffen, wenn wir uns hier verabredet hätten? Wie oft kommt es im Leben vor, dass man Menschen haarscharf verpasst oder eben doch trifft, nur weil es der Zufall so will?

Places des Épices bei Tag
Zurück an meinem Sitzplatz beobachte ich von der stillen Terrasse aus das hektische Aufräumen auf dem Marktplatz. Die Waren werden auf Karren und Esel gepackt. Aus den Minaretten ertönen die singenden Gebetsrufe. Die Sonne geht unter und taucht die „Rote Stadt“ in ein warmes, orangefarbenes Licht. In Sekunden ist der kleine Platz am Fuße des Cafés wie leergefegt. Wie bekommen die am nächsten Tag alles wieder an seinen Platz, vor allem so ohne Markierungen? Oder sieht der Platz jeden Tag anders aus?
Inzwischen ist es dunkel und kühl, von der Nachmittagshitze ist kaum noch etwas zu spüren. Auf den Tischen brennen kleine orientalische Lampen und manche Gesichter werden von leuchtenden Handydisplays schwach erhellt. Marokkanischer Pfefferminztee wird aus glänzenden, verzierten Teekannen blubbernd in kleine Gläser gefüllt. Auch ich wärme mich mit Cornes de gazelle und Thé à la menthe marocain auf, bevor wir uns wieder auf den Weg machen.

Marokkanisches Teegedeck.
Wir gehen.
Ich drehe mich nochmal um und verabschiede mich von Frau Alimy, die mir freundlich zunickt - und von der schönen Terrasse des Café des Epices. Vielleicht bis nächstes Jahr?
Schöne Ferien, fröhliches Abschalten und: Seid Euch nicht zu sicher - man weiß nie, wann und wo man sich begegnet. It‘s a small world after all!


Fotos: Familie Sibai