Donnerstag, 27. Januar 2022

Glaubwürdigkeit

„Ihr könnt mir glauben“. Warum uns Männer immer die Welt erklären wollen. Von Anja Lenja Epp



„Postfaktisch“ war das Wort des Jahres 2016. Es beschreibt die Abkehr von Fakten zugunsten von subjektiven Meinungen und Emotionen. Obwohl die Frage bleibt, wann denn das faktische Zeitalter gewesen sein soll, ist es alarmierend, dass echte Fake News die vermeintliche Lügenpresse übertönen. Was sind das überhaupt für Worte? Und was ist los mit der Glaubwürdigkeit? Was können wir noch glauben und was nicht?

Etwas glauben, das heißt, etwas für richtig zu befinden – und das ohne Beweise. Existieren diese Beweise, dann wissen wir etwas. Theoretisch macht das Sinn, doch praktisch verschwimmen hier oftmals die Grenzen. So kommt es dazu, dass Menschen glauben, was offensichtlich gelogen ist (siehe Verschwörungstheorien), oder leugnen und nicht wahr haben wollen, was nachweisbar richtig ist. Dabei scheinen auffällig oft die gesellschaftliche Stellung der Person, die das Gesagte in die Welt gesetzt hat, und die Emotionen, die es hervorruft, eine Rolle zu spielen. Meinungen und Fakten werden so zu einem undurchsichtigen Wollknäuel, dass es zu entwirren gilt.

Der ganze Spaß fängt bereits beim Zuhören an. Während einige auf Durchzug schalten, horchen andere auf. Das mit dem Durchzug passiert besonders deutlich, wenn die Redenden FINTA*s sind. Wahrscheinlich haben an dieser Stelle auch schon einige Menschen aufgehört, diesen Artikel zu lesen. Derartiges führt im Folgenden häufig zu Aussagen, die lustig sein könnten, wenn sie nicht so blöd wären und patriarchale Denkmuster offenlegen würden. Teilweise werden Vorschläge von FINTA*s ignoriert und kleingemacht, um kurz darauf von cis-männlichen Mitstreitern wieder aufgenommen und als eigene Einfälle präsentiert zu werden. Dann werden sie natürlich angenommen, ist ja klar.

Teilweise werden FINTA*s auch grundsätzlich für inkompetent gehalten, ganz einfach aus dem Grund, dass sie FINTA*s sind. Dies führt zu einem gewissen Phänomen namens Mansplaining. Der Begriff setzt sich zusammen aus „man“ und „explaining“ (engl. für „Mann“ und „erklären“) und beschreibt eine Begebenheit, in der ein cis-Mann einer FINTA*- Person etwas erklärt. So weit, so unspektakulär. Die Besonderheit beim Mansplaining und damit der Unterschied zum einfachen (respektvollen) Erklären ist jedoch, dass es unnötig und von der zuhörenden Person ungewollt ist und nur auf der Grundlage geschieht, dass der cis-Mann sich aufgrund seiner cis-Männlichkeit irgendwie überlegen fühlt und meint, alles auf der Welt besser erklären zu können, als die FINTA*-Person ihm gegenüber. Das wird besonders dann absurd, wenn der cis-Mann in Wirklichkeit keine Ahnung hat, wie die Essayistin Rebecca Solnit, auf die der Begriff „Mainsplaining“ zurückgeht, in der Einleitung ihres Buches „Wenn Männer mir die Welt erklären“ beschreibt. In der von ihr geschilderten Situation war sie als Gast auf einer Party den ununterbrechbaren Schilderungen eines Mannes ausgesetzt, der über ein Buch sprach. Dass Rebecca Solnit die Autorin dieses Buches war und damit weit besser darüber Bescheid wusste als der Mann, der lediglich eine Buchkritik hierzu gelesen hatte, fiel diesem erst nach mehreren Hinweisen auf.

Natürlich ist diese Situation ein Beispiel von extremem Mansplaining, jedoch kein Einzelfall. Dabei wäre es gewiss nicht sonderlich schwer für cis-Männer, sich vor dem Start von endlosen Erklärungsversuchen zu fragen, ob diese wirklich gewollt sind und weiterhelfen oder doch nur aufgrund eines ungerechtfertigten Überlegenheitsgefühls erfolgen. Notfalls hilft das Vertrauen darauf, dass FINTA*s auch ohne diese Erklärungen auskommen.

Damit wären wir wieder bei der Glaubwürdigkeit. Was jedoch im Fall von Mansplaining vor allem nervig ist, wird bei der Aufklärung von Verbrechen, insbesondere von Missbrauch, zum weitreichenderen Problem. Denn wenn die Stimme eines Opfers weniger zählt als die des Täters, ist klar, wie der Prozess ausgeht. Besonders angesichts des Hasses, der einem Opfer von Missbrauch, das diesen Missbrauch öffentlich macht, entgegenschlägt, ist es sehr unwahrscheinlich, das es gelogen hat. Was hätte es auch davon? Letztendlich spiegelt sich hierin wie auch in vielem anderen eine patriarchalische Struktur wieder, die FINTA*-Stimmen bewusst überhört und gerne hätte, dass diese insbesondere bei unbequemen Themen verstummen. Natürlich ist das totaler Quatsch – immerhin sind Menschen unterschiedlicher Gender gleichermaßen fähig, die Wahrheit zu sagen.

In diesem Bereich, in dem die Wahrheit um ein Vielfaches wahrscheinlicher ist, wird sie also einfach nicht geglaubt. Leichter scheint es einigen Menschen zu fallen, an Verschwörungstheorien zu glauben. Egal, was die Wissenschaft sagt, Manche bevorzugen anscheinend die Vorstellung einer Weltverschwörung, in der irgendwelche nicht existierenden Kreaturen die Macht innehaben. Wie kommt man denn auf sowas?

Eine Gemeinsamkeit dieser beiden Fälle ist die Bequemlichkeit, die mit dem Nicht-Akzeptieren der Wahrheit einhergeht. Wenn es Ungerechtigkeit, wenn es Corona gibt, muss mensch handeln. Wenn nicht, dann nicht. Das Problem ist, dass Menschen bei Ignoranz der Wahrheit nicht handeln, obwohl es das Problem gibt. Einfach so zu tun, als ob jegliche Probleme nicht existieren würden – seien es das Patriarchat und seine Auswirkungen, Corona oder der Klimawandel – lässt diese Probleme nicht verschwinden, sondern vielmehr noch umfangreicher werden. Und dann wird es richtig unbequem.

Aus purer Bequemlichkeit in seiner eigenen Filterblase hocken zu bleiben, nur um nicht akzeptieren zu müssen, dass die Welt nun mal kompliziert ist, bringt also rein gar nichts. Es ergibt auch keinen Sinn, mit einem Schutzschild durch die Welt zu laufen und alle Fakten mit einem bloßen „Nö“ oder „Da bin ich anderer Meinung“ abzuwehren. Doch genau das tun Leute, wenn sie „Lügenpresse“ schreien, sobald ihnen ein Artikel nicht gefällt. Letztendlich wäre allen geholfen, wenn Menschen aus ihrem gedanklichen Ohrensessel aufstehen und das Ignorieren von Fakten sein lassen würden. Dann hätten sie am Ende wahrscheinlich sogar mehr Zeit. Zum Beispiel, um Bücher zu lesen. Science-Fiction oder so. Ist teilweise sogar fundierter als manche Verschwörungstheorie.



Begriffserklärungen


FINTA* kurz für Frauen, Intersexuelle, Nichtbinäre, Transpersonen und Agender

Gender englisch für Geschlecht; Beschreibung der Identität in Abgrenzung vom biologischen Geschlecht

cis-Mann Mensch, dem bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, und der sich damit identifiziert

Patriarchat ungerechte Gesellschaftsform, die cis-Männer aufgrund ihres Geschlechts bevorzugt und FINTA*s benachteiligt




Bilder: A. L. Epp


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