Dienstag, 17. Juli 2012

Sprache im Spaßfernsehen: Vorlesung an der TU

Gebrabbel allerorten. Henrike Sprengel besuchte mit dem Deutsch-Leistungskurs den Vortrag "Skandal im Medienbezirk" im Rahmen der Ringvorlesung Germanistik an der TU Braunschweig
Lautes Gemurmel alter Menschen. Etwa 50 Personen hatten sich in dem Hörsaal versammelt – und das Durchschnittsalter wurde durch die Anwesenheit unseres Deutsch-Leistungskurses drastisch angehoben. Ein Beamer brummte sich warm, um bei der Präsentation sein bestes zu geben. Das Thema:
Skandal im Medienbezirk oder: Amüsieren wir uns zu Tode?
Zur Boulevardisierung der Sprache im deutschen Gegenwartsfernsehen
Kurz gesagt: Mediensprache und wie sie sich im Laufe der Jahre verändert hat. Dr. Katja Franke führte uns in dieses Thema mit einer Analyse des deutschen Fernsehprogrammsein. Es fielen Begriffe wie: Daily Soaps, Daily Talk, Kochshows. Es seien Unterhaltungsformate, die weniger auf Informationsvermittlung als auf reine Bespaßung des Publikums ausgerichtet seien. Dabei spiele die Boulevardisierung eine große Rolle (kurz gesagt: die Mediensprache, wie sie die Informationen mit einer Verpackung verkleidet), welche vielen schlecht und in den USA sogar „schmutzig“ erscheint, aber dennoch vor dem seriösen Fernsehen von großen Teilen der Bevölkerung bevorzugt werde.
So sind für die jüngeren Generationen Fernsehsender wie Sat1, Pro7 und RTL – stark boulevardisierte Sender – sehr populär, die sich in einem Großteil ihres Programms auf Unterhaltung (wie Serien und Filme) und Infotainment (wie Reality-TV und Soaps) beschränken, aber nur einen kleinen Teil mit Nachrichten und Wetter füllen. Denn Themen wie Gesundheit, Sex, Tod, Familie, Lebensweise, soziale Beziehungen und Gesellschaft erleichtern das Sehvergnügen der reichhaltigen Zuschauerschaft deutlich, genauso wie die Informalisierung (d. h. die Merkmale eines serösen Fernsehsenders [Formalität] werden durch die eines unseriösen [= Informalität] ersetzt): Dies ist ein Entwicklungsprozess der Gegenwartsmedien auf sprachlicher Ebene, in dem sich die Hochsprache in Umgangssprache wandelt. Durch diese Veränderung ist das Medium Fernsehen dem Zuschauer deutlich näher gerückt und der Prozess der Identifikation deutlich einfacher geworden.
Im Kontrast dazu stehen die seriösen Fernsehsender wie ZDF und ARD, die ein sehr ausgeglichenes Fernsehprogramm vorzeigen können, bei dem sich Informations-Sendungen, Infotainment und Unterhaltung die Waage halten. Diese Sender sind nicht boulevardisiert und zeigen bspw. im Diskurs ein hohes Maß an struktureller Komplexität, bewusster Sprachkontrolle und -planung (wie redaktionelle Vorproduktion).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich die unseriösen Fernsehsender mehr auf Spontaneität, Reduktion der Informationsdichte und den Anklang bei vielen (sprich: die Anpassung an die heutige Zeit), die seriösen Sender aber auf Neutralität, Kontrolle und Struktur spezialisiert haben.
Viel Information; viel Zeit. Ein wenig zu lang für den Geschmack vieler – vor allem derer, die beschlossen hatten, die Veranstaltung schon früher zu verlassen – aber auch derer, die es durchhielten und auf eine Wende der Ereignisse hofften. Der sehr statische Vortrag von Dr. Franke war zwar mit Beispielen, Videomaterial und einer konstant präsenten Power-Point-Präsentation untermalt, wirkte aber auf die Dauer einschläfernd. Die Inhalte wiederholten sich und auch die Aufmerksamkeit wurde – für den ein oder anderen Geschmack – zu stark strapaziert. Es war wohl sehr informativ, doch waren die Erwartungen anderer Art gewesen: dynamischer Vortag mit Abwechslung, Miteinbezug und Beanspruchung des Publikums.
So ist von dieser exemplarischen Ringvorlesung nicht auf alle anderen zu schließen, doch wurde der Drang, noch weitere zu besuchen, deutlich gemindert. Trotzdem einen Dank an Dr. Franke für diesen Vortrag, der uns in vieler Hinsicht die Welt der modernen Mediensprache – leider gespickt mit vielen (großenteils englischen) Fremdwörtern – näher gebracht hat.
Wertung:
 

Zum gesellschaftskritischen Hintergrund des Themas empfiehlt die WGtarier-Redaktion Neil Postmans Klassiker "Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie"(1985). Daraus zwei Kostproben:
 "Problematisch am Fernsehen ist nicht, dass es uns unterhaltsame Themen präsentiert, problematisch ist, dass es jedes Thema als Unterhaltung präsentiert."
"Fernsehen wurde nicht für Idioten erschaffen – es erzeugt sie."
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Neil Postman (1931-2003)

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