Sonntag, 2. Dezember 2012

Cloud Atlas: Alle Grenzen sind Konvention

Und es geht eigentlich um alles. Tim Kneisel über das monumentale Kino-Opus von Tom Tykwer und den Wachowski-Geschistern.
Am Ende wird dein Leben nicht mehr gewesen sein als ein einzelner Tropfen in einem endlosen Ozean. Was aber ist ein Ozean, wenn nicht eine Vielzahl von Tropfen?“
Ein Anwalt reist im 19. Jahrhundert auf einem Schiff von einer Pazifikinsel nach San Francisco und lernt dabei einen entflohenen Sklaven kennen. Ein junger Komponist verlässt 1931 seine Heimat und seine große Liebe, um endlich berühmt zu werden. Eine ambitionierte Reporterin versucht in den 70er Jahren, eine Verschwörung um einen neuartigen Atomreaktor aufzudecken. 2012 wird ein Mann von seinem eigenen Bruder in ein Altersheim gesteckt und versucht zu fliehen. In einer dystopischen Zukunft kämpft ein Klon für Gleichberechtigung und in einer postapokalyptischen Welt hängt von einem einfachen Ziegenhirten das Überleben der Menschheit ab.


Was haben diese Geschichten miteinander zu tun? Genau um diese Frage dreht sich „Cloud Atlas“, ein monumentales Gemeinschaftswerk der Wachowski-Geschwister („Matrix“) und des deutschen Regisseurs Tom Tykwer („Lola rennt“, „Das Parfüm“). Das Genre und die Aussage dieses Films lassen sich schwer fassen, weil es eigentlich um alles geht: Sklaverei und Freiheit, Verbrechen und Liebe, Tod und Wiedergeburt. Die über mehrere Jahrhunderte verteilten Geschichten werden im Film mosaikartig erzählt, laufen nebeneinander her, sodass sie ein großes Ganzes ergeben. Besonders beeindruckend: Die Hauptdarsteller spielen in jeder Geschichte eine Rolle. So sehen wir Tom Hanks einmal in einer Hauptrolle als Ziegenhirte Zachry, dann aber wieder nur in einem kleinen Auftritt als hinterhältiger Hotelmanager. Halle Berry spielt unter anderem die Reporterin Luisa Rey, aber auch eine weiße Jüdin, die aus Deutschland geflohen ist. Bei diesen über die Zeitalter verteilten Charakteren gibt es aber auch noch extremere Rollenwechsel, wenn zum Beispiel Hugh Grant einen tätowierten Kannibalen spielt oder Hugo Weaving (bekannt als Agent Smith aus „Matrix“) eine diabolische Krankenschwester. Wie gegen Ende des Films der Komponist Robert Frobisher sagt: „Alle Grenzen sind Konvention“. Großartige Arbeit leisten hier aber nicht nur die Schauspieler sondern auch die Maskenbildner, die diese unterschiedlichen Rollen erst glaubhaft machen. Zu versuchen, die Schauspieler in jeder der Geschichten wiederzuentdecken, ist Teil des Spaßes an diesem Film.
Trotz einer Länge von fast drei Stunden kommt nie Langeweile auf, da die unterschiedlichen Geschichten so abwechslungsreich sind. Es gibt actionreiche Verfolgungsjagden, Slapstick-Humor und romantische Szenen. Durch subtile Ähnlichkeiten in der Bildsprache und den tollen Soundtrack schafft der Film es aber dennoch, diese verschiedenen Genres und Handlungsstränge zusammenzuhalten, ohne dass das Publikum jemals desorientiert zurückgelassen wird.
Der Film spielt mit Deja-Vus, oft werden Szenen in einer Geschichte begonnen und in einer anderen auf die eine oder andere Art weitergeführt oder zitiert. Während die meisten Geschichten für sich genommen nicht besonders herausragend sind, ergeben sie doch zusammen eine einzigartige, größere Geschichte. Ob man diese esoterisch mit einer Botschaft über Wiedergeburt sieht oder einfach als Menschheitsgeschichte versteht, in der die im Gründe immer gleichen Probleme über Jahrhunderte hinweg immer wieder auftreten, liegt letztlich beim Betrachter, denn der Film will interpretiert werden und gibt keine einzig richtige Deutung vor.
„Cloud Atlas“ ist auf vielfältige Weise ein Film, wie es ihn noch nicht gab, und allein schon deshalb sehenswert, weil er einen Gegenpol zum Mainstream-Kino bietet, ohne dabei zu betont künstlerisch anspruchsvoll zu sein. Die FSK hat trotz einiger ziemlich blutiger Szenen eine Freigabe ab 12 Jahren erteilt.

Dauer: 172 Minuten

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