„Sorge um die palästinensische Zivilbevölkerung“. Der Deutsch-Palästinensische Verein Braunschweig antwortet auf die Fragen von Martino Rossi (9m1).
Da es sich um ein komplexes Thema handelt, versuchen wir, mehrere Seiten des Konflikts darzustellen. Hier finden sich weitere Texte:
Meinung: „Israel muss dieselbe Solidarität wie der Ukraine entgegengebracht werden“
Was waren Ihre ersten Gedanken nach dem Terrorangriff
der Hamas?
Wir positionieren uns gegen jegliche Gewalt
gegenüber Zivilisten. Wenn Zivilisten und Unbeteiligte sterben - egal auf
welche Seite - ist es immer schrecklich.
Die ersten Gedanken waren Angst und Sorge um
die schutzlose palästinensische Zivilbevölkerung wegen möglicher kollektiver
Racheakte.
Diese Angst war leider im Nachhinein auch begründet,
zuletzt bestätigt durch die furchtbaren Massaker der letzten fünf Wochen mit
mehr als 11.000 Todesopfern und mehr als 32.000 Verletzten, wovon 70 % Kinder
und Frauen sind. Hinzukommen eine noch unbekannte Zahl an Verschütteten und Vermissten,
die massive Zerstörung der Infrastruktur und mehr als eine Million Flüchtlinge.
Wie stehen Sie zu folgender Aussage: „Die Hamas
hat einen Terrorangriff auf Israel gestartet!“
Das Problem besteht nicht seit dem 07.10.2023,
sondern vielmehr seit der Gründung des Staats Israel im Jahre 1948 nach dem Völkermord
an Juden durch die Deutschen. Die Rechte der indigenen Bevölkerung in Palästina
werden seitdem durch die brutale Besatzungsmacht massiv missachtet.
Um die Thematik zu verstehen und dazu Stellung
nehmen zu können, sollte man die ganze Geschichte seit der Gründung des Staats Israels
kennen. Ich empfehle Ihnen z. B. das Buch des israelischen Historikers Prof. Ilan
Pappe „Die ethnische Säuberung Palästinas“ zu lesen.
Auf Ihrem Internetauftritt bekennen Sie sich
zu Solidarität mit Gaza. Solidarisieren Sie sich auch mit der Hamas oder nur mit
der Bevölkerung?
Wir solidarisieren uns mit unseren Familien, mit
den hilflosen Frauen und den Kindern. Wir solidarisieren uns mit der dort
lebenden, stark unter der erbarmungslosen, israelischen Offensive leidenden Zivilbevölkerung
und fordern ihre Freiheit und das Ende der Belagerung und brutalen Besatzung des
palästinensischen Volks.
Sollte es mehr humanitäre Hilfe für Gaza geben
und sollte man das Risiko hinnehmen, dass damit auch Waffen, die Israel schaden
würden, nach Gaza kommen würden?
Ja, auf jeden Fall sollte es mehr humanitäre
Hilfe für Gaza geben.
Sauberes Trinkwasser, Nahrung, Strom,
medizinische Versorgung und Bewegungsfreiheit sind Grundrechte jedes Menschen
und sollten unabhängig von kriegerischer Auseinandersetzung jedem Menschen zugänglich
sein. Außerdem wird durch die vollständige Blockade des Gazastreifens durch Israel,
was übrigens eine kollektive Bestrafung der Bevölkerung in Gaza darstellt und
damit eindeutig gegen das Völkerrecht verstößt, alle Hilfsgüter durch Israel kontrolliert.
Wer ist Ihrer Meinung nach Schuld am Krieg?
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio
Guterres, sagte am 24.10.2023: „Die Hamas-Angriffe gegen Israel seien nicht im Vakuum
passiert“.
Sie sind Folge einer jahrelangen Unterdrückung, Belagerung, Enteignung und Erniedrigung des palästinensischen Volkes, getrieben von nationalreligiösen Ideologen einer rassistischen Besatzungsmacht. Der israelische Verteidigungsminister nannte die Menschen in Gaza „menschliche Tiere“.
Durch Nichtumsetzung von UN-Resolutionen bezüglich
Palästina (u. a. 181, 242, 338) wurde Israel in seiner Besatzung bestätigt und damit
eine friedliche Lösung des Problems torpediert.
Wie soll der Krieg ausgehen?
Wir hoffen, dass dieser schreckliche Krieg dazu
beiträgt, die grenzenlose Ignoranz der westlichen Regierungen bzw. der westlichen
Medien gegenüber dem andauernden Leid der Palästinenser zu beenden und eine gerechte
Lösung gefunden wird.
Sollten sich die in Braunschweig lebenden Muslime
mit Israel solidarisieren?
Amnesty International hat Israel in einem Bericht
im Februar 2022 der Apartheid beschuldigt.
„Israel behandle Palästinenser wie eine minderwertige
ethnische Gruppe“, erklärte die Menschenrechtsorganisation.
Auch in anderen Konflikten (z. B. im Ukrainekonflikt)
solidarisieren sich alle freiheitsliebenden Menschen immer mit den
Unterdrückten, unabhängig von ihrer Religion, Hautfarbe oder Ethnie, und nicht mit
dem Aggressor. Davon heben sich die in Braunschweig lebenden Muslime nicht ab.
Alljährlich gibt es Krawalle auf dem
Tempelberg, welche islamistische Terrororganisationen als Anlass für
völkerrechtswidrige Angriffe auf Israel nimmt. Wie will man in Zukunft mit
diesem Problem umgehen?
Für die heiligen Stätten in Jerusalem sollte eine
Übereinkunft aller betroffenen Religionsgemeinschaken gefunden werden, die
wirksam Provokationen und Gewalt verhindern soll und alle Religionen gleichermaßen
respektiert.
Nur durch die Unterstützung des Irans konnten
Hamas und Hisbollah so stark werden? Wieso hat man nicht früher etwas dagegen
getan und wie will man solches in ZukunC verhindern?
Der Ursprung des Konfliktes liegt in der
völkerrechtswidrigen israelischen Besatzung und Unterdrückung der
Palästinenser. Dass andere Akteure mitspielen wollen, ist nicht spezifisch für
diesen Konflikt und soll nicht von der Ursache ablenken.
Was fordern Sie von der Politik, was den Nahost-Konflikt
angeht?
Deutschland und die Weltgemeinschaft müssen sich
für einen gerechten Frieden einsetzen und sich nicht blind und einseitig auf die
Seite Israels stellen.
Auf pro-palästinensischen Demos wurde zuletzt
die Ausrufung eines Kalifats in unserem eher unreligiösen bis christlichen Staat
gefordert. Was wollen Sie dagegen unternehmen?
Damit haben wir nichts zu tun. Wir setzen uns
nur für Palästina ein.
In Ihrem Logo ist die deutsche mit der
palästinensischen Flagge nicht nur über Gaza und dem Westjordanland vereint,
sondern auch über dem Staatsgebiet von Israel. Können Sie uns erklären, wie das
gemeint ist?
Bis zur Festlegung der Grenzen von Israel und Palästina, bezieht sich die Karte auf das historische Palästina von 1917.
Anmerkung der Redaktion:
Zur letzten Antwort hatten wir eine Nachfrage gestellt, die nach Erscheinen des Artikel so beantwortet wurde:
Sie schreiben „das historische Palästina von 1917“. Heißt dies, dass Sie das Existenzrecht Israels auf dem jetzigen Staatsgebiet (Gaza und Westbank ausgenommen) bestreiten?
Das Thema Existenzrecht Israels ist von palästinensischer Seite bereits offiziell geklärt. Die palästinensische Befreiungsorganisation PLO - als von der UN seit 1974 anerkannter Repräsentant des palästinensischen Volkes - hat im Rahmen des Oslo-Friedensprozess 1988 das Existenzrecht Israel anerkannt sowie 1998 die geforderte Streichung israel- und judenfeindlicher Passagen aus ihrer Charta mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit des Nationalrats beschlossen. Der im Gegenzug ausgerufene, von 138 UN-Mitgliedstaaten anerkannte palästinensische Staat wurde bisher von Israel (aber auf den meisten Ländern Westeuropas und Nordamerikas) nicht anerkannt.
Das fehlende Verständnis Israels für ein Existenzrecht eines palästinensischen Staates zeigt sich aktuell umso mehr in der extrem rechten Regierungskoalition, die u. a. für eine Umsiedlung von Palästinensern ist, aber auch im freien Schalten und Walten radikaler, bewaffneter Siedler in der Westbank (teils unter Schutz der israelischen Armee oder Polizei).
Bis zur Festlegung der Grenzen von Israel und Palästina, bezieht sich die Karte unseres Logos auf das historische Palästina von 1917 (mit damals eigener Währung und Briefmarken).
Wir veröffentlichen die Antworten des DPV ungekürzt. Es handelt sich nicht um die Meinung der Redaktion.