Christian Goldapp über die Beschneidung
von Jungen aus dem jüdischen und muslimischen Kulturkreis
Am
7. Mai 2012 erklärte das Landgericht Köln die Beschneidung eines muslimischen
Jungen durch einen Arzt aus religiösen Gründen für strafbar. Die rechtliche
Situation wurde so eingeschätzt, dass die Beschneidung das Kindeswohl derart
stark beeinträchtige, sodass die Religions- und die Erziehungsfreiheit der
Eltern den Eingriff nicht begründen konnten. Der Arzt ging nur deshalb
straffrei aus, weil die rechtliche Situation für ihn zur Tatzeit unklar war.
Das
Urteil löste eine öffentliche Diskussion aus, die sich um Religionsfreiheit und
Integration drehte. Juden und Muslime waren entsetzt und behaupteten, die
erfolgreiche Integration würde gefährdet. Um Religionsverbänden
entgegenzukommen, versprach Angela Merkel, dass Deutschland keine
„Komikernation“ werden solle und eine schnelle Legalisierung anstrebe. Bestimmt
sind auch Schüler des WGs verunsichert, weil ihr Glaube ihnen sagt,
Beschneidung sei essenziell, auf der anderen Seite jedoch das Grundgesetz die körperliche
Unversehrtheit festlegt. Die Argumentation der Vertreter von Judentum und Islam
ist, es gebe kein jüdisches oder muslimisches Leben ohne Beschneidung. Der
Konflikt dreier im Grundgesetz verankerten Grundrechte wird hier somit
deutlich.
Das
Recht auf körperliche Unversehrtheit steht der Erziehungs- und
Religionsfreiheit gegenüber. Die Rechtsprechung hat sich in der letzten Zeit
für eine Einschränkung der Erziehungsfreiheit in solchen Fragen entschieden,
beispielsweise dürfen auch katholische Schüler nicht vom Sexualkundeunterricht
freigestellt werden. Da man aufgrund des politischen Klimas in Deutschland
Beschneidungen nicht vollständig verbieten kann, muss eine andere Lösung
gefunden werden, die religiöse und soziale Dogmen überwinden muss, sowie eine
Selbstbestimmung der betroffenen Jungen ermöglichen muss.
Die
Lösung muss meiner Meinung nach sowohl den Standpunkt der Religionsvertreter
als auch die rechtliche Situation in Deutschland berücksichtigen, ohne den
rechtlichen Rahmen des Grundgesetzes zu verlassen. Alle Religionsgemeinschaften
weisen darauf hin, dass ein Verbot der Beschneidung der Integration schadet.
Natürlich muss man einen „Beschneidungstourismus“ verhindern, aber dennoch müssen
sich für eine erfolgreiche Integration in erster Linie die Migranten anpassen.
Die Integration ist daher nicht durch die Beschneidung bedingt, stattdessen ist
für eine erfolgreiche Integration wichtig, dass die Beschneidung beschränkt
wird.
Die
Religionsgemeinschaften behaupten, dass das Kindeswohl davon abhänge, dass die
Initiation in die Religion ohne Störung durchgeführt werden könne. Dies ist
letztlich eine Verdrehung der Tatsachen. Das Kindeswohl besteht ausschließlich in
der körperlichen Unversehrtheit, die auch durch die Ausübung der
Religionsfreiheit und des Erziehungsrechts nicht gestört werden darf.
Medizinische
Gründe fallen in der Regel nicht ins Gewicht, und manche Mediziner behaupten
sogar, eine beschnittene Vorhaut hätte konkrete gesundheitliche Nachteile.
Somit wären die Hauptargumente der Religionsgemeinschaften eigentlich
widerlegt. Nun bleibt noch, eine Lösung zu finden, die einen Kompromiss
darstellt. Zunächst müsste einmal die Mündigkeit des Kindes sichergestellt
werden. So könnte eine Beratung durch das Jugendamt ohne Beisein der Eltern ein
einigermaßen zuverlässiges Bild von der Meinung des Jungen zeichnen. Weiterhin
wurde die Jahrzehnte alte Lehrmeinung, Säuglinge könnten keinen Schmerz
empfinden, in den letzten Jahren revidiert. Eine Operation ohne Betäubung ist
daher eigentlich nicht hinzunehmen, da dies nachweislich eine Posttraumatische
Belastungsstörung hervorrufen kann. Zuletzt ist noch zu nennen, dass die
jüdische Forderung, Jungen traditionsgemäß von einem religiösen Beschneider
anstatt von einem Arzt beschneiden zu lassen, unhaltbar ist, sowohl im Hinblick
auf medizinische Komplikationen als auch auf mangelnde Hygiene. Somit bleibt
als mögliche Lösung nur folgendes Gefüge: Jungen werden mit frühestens zwölf
Jahren von einem Arzt unter Betäubung beschnitten, nachdem sie ein Gespräch mit
dem Jugendamt geführt haben. Eine andere Lösung ist unter Berücksichtigung des
rechtlichen Rahmens nicht denkbar. Die politische Kultur in Deutschland darf
sich nicht zu einer Kultur der Schuld gegenüber Religion entwickeln.
Beschneidung aktuell: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der Beschneidungspraxis auf tagesschau.de
"Warum ist es in vielen Religionen oft so wichtig, sich an den Geschlechtsorganen der Menschen zu vergreifen?" (Leserbrief von Sigrid Kratschmer, Hohenpeißenberg, Süddeutsche Zeitung Nr. 234, 10.10.2012)
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