Menschenrechte – die Verlierer der WM. Anna Lenja Epp (Jg. 13) über die Fußballweltmeisterschaft der Männer in Katar.
Schnell schalte ich um. Nicht, dass wegen mir noch die Einschaltquoten hochgehen. Die Weltmeisterschaft wird gefälligst boykottiert!
Na ja, ein richtiger Boykott ist es nicht. Immerhin interessiert mich Fußball sonst auch nicht. Bisher habe ich in meinem Leben vielleicht ein Spiel gesehen und davon auch nur die erste Halbzeit. Das war in der vierten Klasse, als Deutschland Weltmeister wurde.
Ich habe nie ganz verstanden, was an Fußball so toll sein soll. Um mit einer Deutschlandflagge durch die Gegend zu laufen, bin ich wohl auch nicht patriotisch genug.
Anderen Menschen scheint Fußball jedoch sehr wichtig zu sein. So wichtig, dass sie dafür sogar einiges in Kauf nehmen. Denn Fußball ist nicht einfach nur ein Sport, dahinter steckt eine ganze Institution: die FIFA. Sie vergibt die Fußballweltmeisterschaft dank Korruption an ein Land, das sich für Fußball sonst wenig interessiert und in dem die klimatischen Verhältnisse nicht unbedingt zum Sporttreiben einladen. Eigentlich könnte mir das vollkommen egal sein. Sollen die Fußballer doch in der Wüste spielen, was geht mich das an? Doch dieser Sachverhalt zeigt, dass es der FIFA und Katar vor allem um eines geht: Geld. Und zwar jede Menge davon.
Menschenrechte fallen da gerne mal unter den Tisch. Ist ja auch unbequem, wenn man sich Gedanken darüber machen muss, dass beim Bau der Stadions über 6500 Gastarbeiter gestorben sind, dass tausende Familien ein Mitglied verloren haben.1
Und es ist auch unbequem, wenn man darüber nachdenken muss, dass Katar die Rechte von Frauen und LGBTQIA*+ mit Füßen tritt.2 Dennoch und gerade deswegen muss man darüber nachdenken.
Denken scheint nicht die Stärke der FIFA zu sein. Geld ist wichtiger. Aber Geld ist nicht alles.
Irgendein anderes Ziel muss Fußball doch haben. Auch wenn ich das persönlich nicht nachvollziehen kann, macht dieser Sport andere Menschen glücklich. Darum geht es doch, oder? Um Gemeinschaft, darum, sich mit Familie und Freund*innen ein Spiel anzusehen und gemeinsam den Fernseher anzubrüllen.
Es ist jedoch eine komische Gemeinschaft, wenn sie nicht an alle denkt, wenn sie Menschen ausschließt, wenn sie all das duldet, was in Katar vor sich geht.
Aber beim Fußball geht's ja nicht um Politik. Es geht um einen verdammten Ball, der in ein verdammtes Tor geschossen wird. Das ist alles. Wenn man Fußball schaut, dann schaut man Fußball. Man trinkt Bier, man grölt irgendwas Unverständliches, man denkt nicht nach. Es soll ja Spaß machen. Juhu.
Doch wie kann etwas glücklich machen, wenn dafür so viele Menschen gestorben sind und die Freude über die WM die Machenschaften der Regierung in Katar legitimiert? Ist das Glück der Fußballfans wichtiger als das der anderen, die nicht zur Gemeinschaft gehören?
Wer bei Fußballspielen zuschaut, schaut bei Menschenrechtsverletzungen weg.
Fußball ist mir egal, aber Menschenrechtsverletzungen sind nie in Ordnung. Und die FIFA ist dafür verantwortlich.
Was jetzt? Die Stadions stehen, die WM läuft. Jetzt ist zu spät. Kein gesetztes Zeichen oder symbolischer Akt macht die toten Gastarbeiter wieder lebendig. Nichts davon wird die Situation in Katar verbessern oder die FIFA doch noch zum Nachdenken bewegen. Gleichzeitig ist es traurig, wie der DFB und auch die Nationalmannschaft nicht einmal das hinbekommt. Eine Regenbogen-Kapitänsbinde war zu politisch, deshalb die One-Love-Binde. Darauf zu sehen ein Herz im Streifenmuster, die Farben irgendwie angeordnet, Hauptsache nicht in der Reihenfolge des Regenbogens. Auch diese wirklich unpolitische Armbinde war der FIFA noch nicht unpolitisch genug. Sie drohte mit Konsequenzen in Form von Nachteilen im Spiel. Also alles über den Haufen geschmissen.3
Immerhin haben sich die Spieler der Nationalmannschaft den Mund zugehalten. Ja genau, ihr seid es, die nicht sprechen dürfen. Und ihr seid es auch, die vor der FIFA eingeknickt sind, um den Punktestand von irgendeinem Spiel nicht zu gefährden. Geht es auch euch nur ums Geld?
Mittlerweile seid ihr sowieso rausgeflogen (oder wie wahre Fußballfans sagen: Wir sind rausgeflogen). Da hättet ihr vorher doch eigentlich auch ein Zeichen setzen können, oder?
Die Geschichte wäre ruhmreicher zuende gegangen, wenn Manuel Neuer mit Regenbogen-Armbinde eine gelbe oder rote Karte erhalten hätte und die Mannschaft deshalb nicht weitergekommen wäre.
Irgendwann werden sich Fußballfans an diese WM erinnern. Was meint ihr, woran sie sich lieber erinnern werden? An ein politisches Zeichen oder an ein einfach nur schlechtes Spiel?
Im Jahr 1968 reckten die Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos aus Protest für Menschenrechte die Fäuste in die Höhe, nachdem sie bei den Olympischen Spielen Gold und Bronze gewonnen hatten. Dafür wurden sie vom Publikum ausgebuht und aus dem olympischen Dorf geworfen.4 Dennoch war es richtig, was sie getan haben und das kann ihnen keine*r nehmen.
Wie gesagt: Fußball interessiert mich nicht. Macht, was ihr wollt, nur bitte haltet Menschenrechte ein.
Quellen:
1 https://www.tagesschau.de/sport/katar-wm-tote-101.html
2 https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/katar-sechs-dinge-ueber-das-gastgeberland-der-fussball- wm-2022
3 https://www.tagesschau.de/sport/wm-binde-101.html
4 https://www.abendzeitung-muenchen.de/sport/tommie-smith-eine-faust-als-stimme-des-protests- art-547848 (Triggerwarnung: Rassismus, Faschismus)
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