„Sport ist nicht politisch“ – oder doch?! Amelie Adomat erklärt, warum es bei Olympia schon lange nicht mehr nur um Sport geht.
Erst große Hoffnungsträgerin und strahlende Siegerin, später traurige Berühmtheit und ein Bild, das um die Welt geht: Kamila Walijewa, fünfzehnjähriges Eiskunstlauftalent aus Moskau, wird wohl vielen Sportfans noch lange in Erinnerung bleiben. Als jüngste Olympia-Teilnehmerin bei den diesjährigen Spielen in Peking und mögliche russische Dopingkandidatin patzte sie im letzten Lauf des Frauen-Eiskunstlaufwettbewerbs und wurde so ungewollt zur traurigen Symbolfigur für vieles, was beim aktuellen System Olympia und dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) um dessen Vorsitzenden Thomas Bach im Moment falsch läuft.
China keine Wintersportnation
Doch von Anfang an: In der Nähe der chinesischen Hauptstadt Peking (in Englisch: Beijing) ist vor kurzem die wohl seltsamste Winterolympiade zu Ende gegangen. Über zwei Wochen wurden unter strengsten Corona-Bedingungen, der ebenso strengen chinesischen Staatskontrolle und enormer Geldgier die sportlichen Wettkämpfe ausgetragen. Ort des Spektakels war mit China dabei ein Land, das mit Wintersport eigentlich absolut gar nichts zu tun hat. Unmengen an Geld wurden aufgewendet, um in der chinesischen Pampa, teils in Naturschutzgebieten, riesige Wettkampfstätten zu bauen. Diese wird nach den Spielen so aber kaum jemals wieder nutzen. China ist keine „echte“ Wintersportnation wie die nordischen oder Alpen-Länder, daran werden auch die vergangenen Spiele wenig ändern können. Aber das Schicksal, dass Sportstätten ungenutzt zurückbleiben, hat in den letzten Jahren leider viele ehemalige Olympia-Orte und Sportstätten ereilt. Mit Nachhaltigkeit haben die Olympischen Spiele, egal ob sie im Winter oder Sommer stattfinden, also schon seit Längerem nicht mehr viel zu tun.
Überwachung statt Friedenfest
Doch auch sonst war diese Olympiade kein „Friedensfest“ des Sports. Abgesehen vom strengen Handeln der chinesischen Staatsführung um Präsident Xi Jinping und den fatalen Menschenrechtsverbrechen an Minderheiten in China (beispielsweise den Uiguren), über die außer ein paar mutigen Athleten oder kritischen ausländischen Journalisten niemand spricht, herrschte im olympischen Dorf vor allem Überwachung. Sportler waren verpflichtet, sich eine App mit erheblichen Datenlücken herunterzuladen. Diese machte es möglich, sie während der gesamten Spiele „abzuhören“ und Daten über ihren Gesundheitszustand abzusaugen. Die „My 2022“ App ist damit ein sehr anschauliches Beispiel dafür, dass bei diesen Spielen nicht nur der Sport im Vordergrund stand.
Dabei hätte Olympia ein Zeichen werden können. Ein Zeichen für das, wofür der Sport doch eigentlich steht: Nationen und Menschen zu verbinden. So ein Weltevent kann aufmerksam machen und den Finger in die chinesischen, aber auch die strukturellen Wunden legen. Doch das IOC (Internationales Olympisches Komitee) sagt bewusst: „Sport und Politik haben nichts miteinander zu tun“. Ein fataler Fehler. Gerade sie als Vertreter aller teilnehmenden Athleten und Organisatoren der Spiele müssen die Sportler schützen und den Austragungsort auch in ihrem Sinne wählen. Das ist hier nicht geschehen und Peking aufgrund von finanziellen Interessen und Bachs vermutlicher Verbindung zu Xi Jinping ausgewählt worden.
Ziel jahrelanger Arbeit
Ich habe es trotzdem geguckt, mich fast täglich vor den Fernseher gesetzt und den internationalen Athleten zugesehen. Es ist ihr Highlight der Saison und die Teilnahme für jede/n Sportler/in ein Lebenstraum. Oft ist es auch die einzige Möglichkeit, sich und ihren/seinen Sport zu präsentieren. Allein deshalb sollte man sie aus dieser Diskussion über einen sportlichen Boykott heraushalten. Dieses Event findet nur alle vier Jahre statt und ist das Ziel nach jahrelanger Arbeit und Vorbereitung, da kann man nicht verlangen, dass sie die Spiele boykottieren und einfach so an sich vorbeiziehen lassen.
Jedoch gerade deshalb lassen die folgenden Worte der russischen Eiskunstlauftrainerin Eteri Tutberidse, die an das fünfzehnjährige Eiskunstlauftalent Kamila Walijewa gerichtet waren, aufhorchen.
„Warum hast du alles so aus den Händen gegeben? Warum hast du aufgehört zu kämpfen? Erklär mir das!“
15-jährige öffentlich vorgeführt
So oder so ähnlich lassen sich die Worte aus dem Russischen übersetzen. Sie sind an die anfangs genannte Kamila Walijewa gerichtet, die bei ihrer Kür kurz zuvor gepatzt und somit auch noch den letzten Funken Rückhalt von ihrer Trainerin verloren hat und vor der Weltöffentlichkeit bloßgestellt wird. Es waren harte Tage für die minderjährige Sportlerin. Nach einer verspäteten positiven Dopingprobe, die erst nach dem gewonnen Teamwettbewerb im Eiskunstlauf öffentlich wurde, stand sie plötzlich im Mittelpunkt unzähliger Debatten und Diskussionen. Schutzlos konfrontierte man sie mit Anschuldigungen und Mutmaßungen über ihre Person und ihr sportliches Umfeld, setzte sie so enormem Druck aus. Ihr zerrüttetes Team und der Trainerstab um Trainerin Tutberidse waren für das Mädchen vermutlich keine große Stütze. Russland platzierte zwar große Banner in den Städten ihrer Heimat, plakatiert mit dem Motto „Kamila, wir sind bei dir“, setzte aber sonst nicht viel daran, die 15-jährige angemessen und ausreichend zu schützen. Nach längerem Hin- und Her, entgegen vieler ausländischer Stimmen, ließ man sie erneut starten und führte sie so öffentlich vor.
Es war traurig, sie auf dem Eis so zu sehen. Das Wunderkind und Ausnahmetalent zerbrach förmlich am Druck und dem starken Aufsehen um ihre Person. Sie verließ völlig geknickt und den Tränen nah das Eis, wo auch schon Eteri Tutberidse mit ihrem empathielosen Kommentar wartete. Nicht angemessen für ein Kind, das allein und in dieser Situation bei einem sportlichen Weltevent aufgetreten war. Keine Umarmungen, keine Unterstützung hat Walijewa in dem Moment ihrer eigenen Niederlage erfahren. Traurige Szenen, die wieder neue Fragen in Richtung IOC und dem Herkunftsland des Mädchens, also Russland, werfen.
Erinnern die Szenen einer skrupellosen Trainerin doch eher an das vergangene Jahrhundert und die harten Trainingsmethoden in DDR und Sowjetunion. Der positive Dopingtest macht stutzig, liegt das vergangene russische Staatsdoping von Sotchi doch erst ungefähr acht Jahre zurück. Das Land nutzt den Sport immer wieder als politisches Mittel und das schon seit Jahren. Dass jetzt ein junges Mädchen auch öffentlich und leicht erkennbar darunter zu leiden hat, ist diesmal eine Ausnahme – denn oft passiert so etwas unbemerkt in den Trainingszentren dieser Länder. Das IOC muss gerade deswegen hart gegen die illegalen Strukturen Russlands im Hintergrund vorgehen, um sowohl die Sportler als auch den fairen Wettkampf zu schützen. Der Kurs, den das Komitee die letzten Jahre gefahren ist, ist dabei zu wenig. Das russische Vorgehen zeigt eindrücklich, dass Sport gezwungenermaßen politisch und ein Umdenken und Aufwachen des IOC unbedingt nötig ist.
Illegale Strukturen in Russland
Erinnern die Szenen einer skrupellosen Trainerin doch eher an das vergangene Jahrhundert und die harten Trainingsmethoden in DDR und Sowjetunion. Der positive Dopingtest macht stutzig, liegt das vergangene russische Staatsdoping von Sotchi doch erst ungefähr acht Jahre zurück. Das Land nutzt den Sport immer wieder als politisches Mittel und das schon seit Jahren. Dass jetzt ein junges Mädchen auch öffentlich und leicht erkennbar darunter zu leiden hat, ist diesmal eine Ausnahme – denn oft passiert so etwas unbemerkt in den Trainingszentren dieser Länder. Das IOC muss gerade deswegen hart gegen die illegalen Strukturen Russlands im Hintergrund vorgehen, um sowohl die Sportler als auch den fairen Wettkampf zu schützen. Der Kurs, den das Komitee die letzten Jahre gefahren ist, ist dabei zu wenig. Das russische Vorgehen zeigt eindrücklich, dass Sport gezwungenermaßen politisch und ein Umdenken und Aufwachen des IOC unbedingt nötig ist.
Jetzt über die Erhöhung des Mindestalters auf 18 Jahre für eine Teilnahme bei Olympischen Spielen zu debattieren, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, den ich sehr begrüße. Schicksale wie das der Kamila Walijewa müssen in jeder Weise für andere Sportlerinnen und Sportler verhindert werden. Nur so können auch die nächsten Spiele 2024 in Paris und 2026 im italienischen Mailand-Cortina ein Erfolg werden.
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