Dienstag, 2. Dezember 2014

Dichter im Porträt III: Michael Zoch


„freundlich wie eine handgranate“. Jonas Gawinski im Gespräch mit dem Braunschweiger Lyriker Michael Zoch


Michael Zoch wurde am 25. Januar 1966 geboren. Wann entstand der Dichter Michael Zoch und wie kam es dazu?

Ich habe mich schon so mit 18 irgendwie als Dichter gefühlt, ohne dass ich dieses Gefühl damals hätte genau benennen können, wirklich ernsthaft angefangen zu schreiben habe ich mit 30, Schuld war eine Frauengeschichte.

www.michael-zoch.de

Drei Gedichtbände aus Ihrer Feder sind bislang erschienen, welchen würden Sie als persönlichsten, intimsten bezeichnen? Beziehungsweise, welcher ist Ihnen heute noch am nächsten?

„Kometen vom Fass“ ist der für mich persönlichste und intimste und der steht mir heute auch noch am nächsten.



Wenn Michael Zoch an ein Gleis gebunden würde, welchen Gedichtband würde er mit ins nächste Leben nehmen?

„In deinen Träumen reist dein Herz“ von Pablo Neruda.



Gedichte wie „Südstraße“, „Querum“ oder „Brunswick 6 AM“ haben zumindest dem Titel nach zu erteilen regionalen Bezug. Was bewegt Sie in Braunschweig und Umgebung ein Gedicht zu verfassen?

Eigentlich nichts, also Braunschweig als Stadt inspiriert mich nicht in einem positiven, vitalen Sinne, es ist eher so, dass diese Gedichte trotzdem entstehen, sie entstehen im Grunde gegen Braunschweig, sie reflektieren oft das, was meinem Naturell zuwider läuft: Enge, Grauheit, Kälte, Stillstand.



Als Gastautor in Izmir (Türkei), haben Sie den Gedichtzyklus „Türkiye (Intermezzo)“ erdichtet. Wovon leben diese Poeme und was unterscheidet sie von Dichtung, die in Deutschland entstanden ist?

Die Gedichte dieses Zyklus leben vor allem von dem Land selbst, von seinem Lebensstrom, den ich versucht habe, in meinen Gedichten einzufangen. Deutschland ist ein Land, in dem alles funktioniert, aber nichts lebt. Die Türkei ist ein Land, in dem alles lebt, aber nicht alles funktioniert. Die Türkei ist ein sehr sinnliches, musikalisches Land, ein poetisches Land, das trotz oder vielleicht auch gerade wegen der vielen Gegensätze überaus vital ist. Und so sind denn auch die in der Türkei entstandenen Gedichte insgesamt lebendiger, farbenprächtiger, zärtlicher, wärmer als Gedichte, die in Deutschland entstanden sind und weiterhin entstehen.



Inwiefern kann man sagen, dass kunstübergreifende Projekte, wie mit dem freien Künstler und Bildhauer Markus Wollenschläger, ihr dichterisches Repertoir, ihren schaffenden Horizont erweitern?

Die Projekte mit Markus Wollenschlaeger haben meinen Horizont enorm erweitert, unsere Künstlerfreundschaft hat meinen Horizont generell und grundsätzlich enorm erweitert. Dabei ist es aber weniger so, dass seine Bilderwelten konkret mein eigenes dichterisches Repertoire erweitern würden, es ist eher so, dass mich die ungeheure Vitalität und Schaffensfreude dieses Künstlers in eine gewisse Schwingung versetzt, die mich in meiner eigenen Kreativität anspornt und vorantreibt. Markus Wollenschlaeger ist wie ich ein Dichter, er dichtet mit Farben, ich male mit Worten.



Wenn Sie ein One-Way-Ticket hätten, wohin würde die Reise gehen?

Tahiti


Michael Zoch: Goldgräberstimmung

die straße mit dem loch im socken
der geruch aus dem innern nostalgischer schränke
ein haarriss im abspann des blutleeren raums
ich bin der mit dem schienbein
fünfzigtausend küsse tief
in deine kugelsichere nacktheit vergraben
du bist das mädchen von der datumsgrenze
und tropfst entrümpelt in die stille
auf der dunklen seite des liedes
wir sind das volt
der brandfleck im schlitzohr des heiligen geistes
und was uns lockt am ewigen nichts ist der folgende
tag
freundlich wie eine handgranate
auf der stirnseite des hochgekrempelten universums
(mit dem knochenmark gedacht)
  

Können Sie uns etwas über Ihr aktuelles Projekt, den Gedichtband „In meinen Adern brennt noch Licht“ sagen?

Das ist das sperrigste, widerspenstigste Biest, an dem ich bisher geschrieben habe. Im Grunde ist der Gedichtband längst fertig, aber ich schmeiße immer wieder Gedichte raus, ersetze sie durch neue, zerstöre bereits bestehende, lasse daraus neue entstehen, alles ist in ständiger Wandlung begriffen, alles steht permanent auf dem Prüfstand, da fliegen 6 Gedichte raus, hier kommen 3 neue rein, alles dreht sich, alles bewegt sich, gut möglich, dass ich da noch 5 Jahre oder länger dran sitze.



Was erwartet einen neuen Leser, wenn er ins Michael-Zoch-Gedichtkino eintritt?

Goldgräberstimmungen, Kamikazeherzen, Din A 4 Gesichter, einsturzgefährdete Tage, kriegsbemalte Nächte, Frauen, die nicht fliegen können, gröhlende Schwäne, ein Schimmelkäsehimmel, ein Gegenregenbogen, 15 kreidebleiche Schwalben. Grundsätzlich: Feuer unterm Dach.



Zuletzt einen Rat für junge Schreibende?

Stell dich auf einen Stuhl und fang an zu schreien.



Foto: Friedrich Posnien

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