Sonntag, 2. März 2014

Dichter im Porträt II: Jan Kuhlbrodt


„Wider den Klang der Bumskapelle“. Jonas Gawinski im Gespräch mit dem Lyriker Jan Kuhlbrodt

Jan Kuhlbrodt, wer oder was ist das und wie sind Sie mit der Poesie verbunden?
Ich weiß gar nicht, ob es eine Zeit gab, in der ich keine Gedichte gelesen habe. Aber mit fünfzehn ging es richtig los. Es begann mit Russen. Majakowski vor allem, der Futurismus holte mich gewissermaßen zu Hause ab. Dann kamen bald Trakl und Brecht dazu, und später alles durcheinander: Lorca, Neruda, Elytis. Und so ist es eigentlich auch heute. Hier liegen gerade Gedichte von Arsenij Tarkowski und Felix Philipp Ingold und Ashberys Flowchart. Später begann ich auch selber zu schreiben, erst eher aus Spaß.
 

Jan Kuhlbrodt (Foto: Kristian Kühn)
Sehen Sie eine Akademisierung in der Literatur?
Eher nicht. Es kamen schon immer die meisten Autoren aus den höheren Schichten, und die haben alle irgendwas studiert. Aber es gab immer auch Gegenbewegungen. Wahrscheinlich gehörte die Klage über eine Akademisierung von Anfang an zur Literatur dazu. Dennoch denke ich, dass es noch nie so viele Autorinnen und Autoren gab wie heute (global gesehen), und das ist gut so.

 
Wenn das Gedicht heutzutage in den Spiegel schaut, was wird es da sehen?
Wenn es sehen könnte, würde er sich selbst sehen, in Spiegelschrift.

Warum muss man Jan Kuhlbrodts „Stötzers Lied“ lesen?

Diese Frage ist für mich schwer zu beantworten. Aber vielleicht könnten die großartigen Illustrationen von Ivonne Dippmann ein Grund sein, sich auch für den Text zu interessieren.

Wenn Jan Kuhlbrodt ein Buch mit ins Grab nehmen dürfte, welches wäre das?
Besser als ein Buch wäre ein Spaten, um aus dem Ding wieder raus zu kommen. Zum Lesen wäre es zu dunkel.

Als Lehrer kamen Sie mit jungen Straftätern in Kontakt. Was steht hinter diesen Menschen?
Es waren vor allem Kinder aus Einwanderfamilien, die zwischen den Kulturen standen. Und die meisten waren beim Dealen erwischt worden. Das Problem war, dass sie über keinerlei Unrechtsbewusstsein verfügten. Es schien zwischen den Sprachen verloren gegangen zu sein. - Aber es waren gute Jungs mit einem starken Gefühl für Gerechtigkeit. Wenn sie ein Unrechtsbewusstsein entwickeln eine Bereicherung für die Gesellschaft.

Leseprobe: Gedichte von Jan Kuhlbrodt gibt es hier.

Wann kam Jan Kuhlbrodt das erste Mal auf die Idee Schriftsteller zu werden und warum?
7. Klasse. Wahrscheinlich wollte ich ein Mädchen aus meiner Klasse dazu bewegen, mit mir ins Kino zu gehen. (Das ist misslungen, sie ging mit einem Fußballer von Dynamo Karl-Marx-Stadt, obwohl die nur Kreisklasse spielten.) Der Berufswunsch verlor sich dann erst einmal wieder für mehrerer Jahre.

Sie sind ein Daumenagent, wie ist das zu verstehen?
Ein Daumenagent kann mit einer Hand in der Tasche eine Nachricht tippen und absenden. Wahrscheinlich existieren sie nur in meinem Gedicht.

Jan Kuhlbrodt kann sich in eine Zeile, einen Vers verwandeln, welcher wäre das?
Ich selbst kann wohl keiner werden, aber es gibt einige, die mir immer wieder fast unwillkürlich in den Sinn kommen, zum Beispiel dieser Vers aus den „Cantos“ von Pound in der Übersetzung von Eva Hesse:

„Das junge Ross wiehert wider den Klang der Bumskapelle.“



Zur Person:
Jan Kuhlbrodt wurde 1966 in Karl-Marx-Stadt (dem heutigen Chemnitz) geboren, studierte politische Ökonomie, Philosophie und Soziologie sowie - von 1997 bis 2001 - literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Er unterrichtete jugendliche Strafgefangene, arbeitete als Antiquar, war Geschäftsführer der Literaturzeitschrift Edit sowie Dozent an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig und an eben jenem Literaturinstutit, an dem er ausgebildet wurde. Er lebt als freier Autor in Leizpig (Quelle: wikipedia.de).

Unser Autor
Jonas Gawinski traf Jan Kuhlbrodt gleichsam virtuell: auf www.fixpoetry.com, einer Plattform für zeitgenössische deutschsprachige Lyriker, wo er auch selbst gelistet ist.

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