Laura Wittwer, Abi '09, schon zu Schulzeiten beim WGtarier engagiert, gewährt uns einen Einblick in ihr Studium.
Mit jeder Menge lebendiger Erinnerungen an gute, alte Zeiten, an gute, alte Freunde geht es für viele nach dem Abitur in die große, weite Welt – oder zumindest in eine andere Stadt. Man kommt in der neuen WG, vielleicht auch in der ersten eigenen Wohnung an. Man hängt sich Fotos auf mit denjenigen Menschen, mit denen man seit Jahren, teilweise Jahrzehnten seinen Schultag verbracht hat, mit denen man die ersten Partys gefeiert hat, auf Klassenfahrt, Studienfahrt und Abifahrt war, mit denen man, kurzum, sein Leben geteilt hat. – Und dann geht es aufgeregt und zumeist ein wenig wehmütig zurück in die Realität oder: ab zum Studieren.
Diejenigen, die nach dreizehn Jahren Schule mehr oder minder gleich in die nächste Bildungsinstitution gestolpert sind, packte Mitte Oktober meist ein ziemlich großer Schreck: Wie? Lernen? Jetzt, schon wieder? – oder Bachelor? Master? Module? Credit Points? Wahlbereich? Allgemeine Berufsqualifizierende Kompetenzen? Da ich mich bewusst für ein Fach entschieden habe, das mir viel Spaß machen wird, stellten sich mir vor allem die Fragen zweiter Kategorie. Zu sagen ist natürlich, dass sich Studienfächer enorm voneinander unterscheiden, geschweige denn Studienstandorte, sodass meine Erfahrungen wirklich sehr subjektiv sind: Ich habe 2009 mein Abitur am WG gemacht, bin gleich zum kommenden Wintersemester an die Universität Hamburg gegangen, um dort Germanistik und (im Nebenfach) Anglistik zu studieren. Mittlerweile bin ich also im fünften Semester, das ich allerdings nicht in Hamburg, sondern am University College in London verbringe.
Nur vorweg gesagt: „Studium“ als Synonym für „Freiheit“ gilt schon lange nicht mehr. So mögen Teile unserer Elterngeneration getrost gefühlte zwei Jahrzehnte studiert haben – schminkt es euch ab, willkommen in der supereffektiven und zeitlich gerafften Bachelor-Master-Welt.
Ich persönlich hatte mich auf literaturbegeisterte Kommilitonen gefreut, auf angeregte Diskussionen und auf viel, viel geistigen Input. Und es kam anders, – und ich sage nicht schlechter – nur anders, als ich es erwartet hatte. In der Orientierungseinheit, einer vorgelagerten Woche vor dem Studium, lernte ich viele meiner neuen Mitstudenten kennen. Und diese waren weniger literaturbegeistert als verhinderte Bewerber für „Medien- und Kommunikationswissenschaften“, die sich nicht anders zu helfen wussten, als ein verwandtes Fach zu nehmen, aber trotzdem später „irgendwas mit Medien“ machen möchten.
Auch die Sache mit dem geistigen Input und den angeregten Diskussionen kam anders als vermutet: Klausuren beispielsweise, wie ich sie aus meinem Deutsch-LK kannte, gab es nun nicht mehr. Klausuren hieß ab dann stumpfes Auswendiglernen von Reimschemata, Namen von Werken und Autoren, literaturwissenschaftlicher Terminologie – bar jeglicher Notwendigkeit. Nur nebenbei: Wir Bachelorstudenten nennen diese Lerntechnik „Bulimielernen“ – fein aufessen, was einem vorgesetzt wird, und es dann hübsch und pünktlich zur Klausur aufs Aufgabenblatt erbrechen. Vor meinem strikten Stundenplan-Baukasten-System mit Seminaren, Vorlesungen, Tutorien und Schlüsselkompetenzen in Modulen kam ich mir darüber hinaus weniger wie eine mündige Studentin vor als wie ein Kindergartenkind vor einem Legokasten. Inmitten all dieser skurrilen Erlebnisse in der Uni realisiert man dann auch früher oder später, dass – sofern man alleine wohnt – der Kühlschrank nicht von selbst einkaufen geht und auch die Wäsche nicht freiwillig in die Waschmaschine wandert. Man versucht (bestenfalls) Freunde zu finden, die neue Stadt zu erkunden – kurz ein neues Leben aufzubauen und dabei den Kontakt zum alten Leben zu halten.
In meinen Augen hat der Bachelor (zumindest für Geisteswissenschaftler) letztendlich weniger widrige Umstände beseitigt, als er sie neugeschaffen hat. Daher ist es wichtig, wie es viele Studenten tun, gegen das System aufzubegehren, Lösungsvorschläge zu erarbeiten, damit wieder in angemessenerem und pädagogisch sinnvollerem Rahmen studiert werden kann. Aber noch wichtiger ist es, nicht im Selbstmitleid zu versinken. Wir sind nun einmal die Versuchskaninchen eines mittelmäßig ausgereiften Studiensystems, das Deutschland aus dem angelsächsischen Raum übernommen hat. (Dieser tendiert im Übrigen gerade dazu, das System wieder zu lockern und teilweise abzuschaffen.) Und es gibt Lichtblicke: In höheren Semestern hört das Bulimielernen nämlich tröstlicherweise auf und man beginnt, Hausarbeiten über selbstgewählte Themen zu schreiben. Man lernt, welche Themenkomplexe, welche Dozenten und welche Freundeskreise zum eigenen Charakter und zu den eigenen Interessen passen. Man kommt an – in der Stadt, in der Universität und im Fachbereich. Zwar sitzt dir immer noch Mister Bachelor im Nacken, der dir permanent einflüstert, dass die Noten stimmen müssen, um einen Masterstudienplatz zu bekommen. Aber mit Eigeninitiative und Interesse lässt sich ein Weg finden, der sich zwar innerhalb des vorbestimmten Bachelorstudiums befindet, aber sich um einige Regeln herumschlängelt – sogar an einer Massenuniversität. Und wer es schafft, nur ein bisschen davon wegzukommen, lediglich für die nächste stressige Prüfung statt aus eigenem Interesse zu lernen, kann sogar das tun, was unsere Eltern einmal getan haben: das Studium in vollen Zügen genießen.
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