Mittwoch, 20. Oktober 2010

Theaterkritik: Ein Vier-Personen-Molotowcocktail

Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ im Staatstheater Braunschweig

„Wir demonstrieren nur das bisschen Grips, was wir haben“, heißt es in Edward Albees Ehe-Klassiker „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Es ist keine Lüge, demonstriert wird an diesem Abend eine Menge. Intellektuell verpackt und niemals plump ist es, das Celebrity Deathmatch der Eheleute George (Tobias Beyer) und Martha (Crescentia Dünßer).
Seit 23 Jahren sind die beiden verheiratet; sie ist die Tochter eines Collegepräsidenten, er, vom Schwiegervater als Nichtsnutz erachtet, ist Professor für Geschichte am selben College. Entsprechend Vaters Wille, nett zu den neuen Kollegen zu sein, lud Martha zu Georges Überraschung zwei Gäste nach einer Campus-Party in die eigene Wohnung ein. Jungbiologe Nick (solide Leistung von Oliver Simon) mit seiner Frau Süße (brillant ausgespielt von Rika Weniger) fungierten in dieser Nacht quasi als Spiritus für das Feuer eines Eheinfernos par excellence. Das Bühnenbild ist kalt und spartanisch, was sich eins zu eins auf die Ehe zwischen Martha und George projizieren lässt. Es klingelt an der Tür, die Gäste sind da. Martha spricht es offen aus: „Das Fest beginnt!“
Es dauert nicht lange, bis Nick und seine an ADHS und Intelligenzminderung leidende Süße in den zweifelhaften Genuss der ehelichen Schlammschlacht der Gastgeber geraten und zum Spielball selbiger werden, die keine Gelegenheit auslassen, um den anderen bloßzustellen. Anfängliche Weglauftendenzen werden mit genügend Brandy umgehend ausgelöscht, die Nacht ist die Bühne von Martha und George.
In der knapp zweistündigen Aufführung wird schnell deutlich, was 23 Jahre unerfüllte Erwartungen ausmachen können. Die Wut und die Enttäuschung lassen Martha zu einem emotionalen Tyrannen werden. Wahrlich keine leichte Aufgabe, einen derart hasserfüllten und bösartigen Menschen dem Publikum adäquat zu präsentieren. Crescentia Dünßer löste es souverän, teilweise jedoch eine Nuance zu übertrieben; ein paar Dezibel weniger hätten es dann und wann auch getan. Sie blühte mit Feindseligkeiten regelrecht auf und sogar George, herausragend dargestellt von Tobias Beyer, schien überrascht, dass Martha in dieser Nacht den Superlativ der Hässlichkeit erreichen konnte. Wie mit einem Gewehr entledigten sie sich, gegeneinander gerichtet, aller Hemmungen und angestauter Emotionen.
Es ist auch die verbale Kreativität aller Schauspieler, die dieses Stück im Kleinen Haus des Staatstheaters Braunschweig sehenswert macht. Eine Übernahme vom Alten Schauspielhaus Stuttgart übrigens. Trotz aller Bösartigkeiten ist die Szenerie nicht minder komisch, und zwischendurch ertappt man sich immer wieder die Frage stellend: Werde ich auch mal so wie Martha?
Eine 23-jährige Hassliebe ist schwer zu beenden, teilweise lässt sich eine gewisse Genugtuung in den gegenseitigen Beleidigungen feststellen. Diese Art der Kommunikation und der emotionalen Ausschlachtung scheint beide im Kern zu befriedigen.
Am Ende dieses exzellent inszenierten und äußerst explosiven Theaterstückes gab es nur noch einen großen Scherbenhaufen, beide Ehen und alle Persönlichkeiten lagen nun in Schutt und Asche.
„Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber diese ist unsere“, sagte einst der Philosoph Jean-Paul Sartre. Er muss dabei an Martha und George gedacht haben.
Mareike Fähndrich, Abitur am WG 2009

Ort: Staatstheater Braunschweig, Kleines Haus
Termine: www.staatstheater-braunschweig.de/spielplan/premieren-und-repertoire/wer-hat-angst-vor-virginia-woolf/termine/

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