Donnerstag, 15. Dezember 2016

Seenotretter

Spektakuläre Aufgaben auf den deutschen Meeren. Ein Bericht zu den Seenotrettern von Jan-Marten Kleine-Besten

Als ich im Jahr 2012 das erste Mal einen Seenotrettungskreuzer gesehen und besichtigt habe, war mir noch nicht klar, dass mein Interesse heute so groß sein würde.
Bestimmt wart ihr schon einmal alle Tretbootfahren, entweder auf einem Fluss oder einem See oder vielleicht sogar an einem Strand. Daher kennt ihr alle das Gefühl, auf einem Schiff auf dem Wasser zu sein. Bei eurer Fahrt ging bestimmt alles gut. Aber stellt euch einmal vor, ihr seid auf einem viel größeren Schiff und fahrt auf dem Meer herum, weit vom Strand entfernt. Dann kann euch keiner vom Ufer mal eben so retten. Vielleicht habt ihr noch das Pech, dass euer Schiff untergeht und ihr hilflos im Wasser treibt. Bei solchen Notfällen, aber auch bei anderen Hilfeleistungen, wie z.B. ein Schiff mit einem Motorschaden abschleppen, kommen die deutschen Seenotretter und retten einen aus der Gefahr. Seit dem Jahr 1865 machen sie das an Nord- und Ostsee, in den Anfangsjahren noch mit offenen Ruderbooten, wo die Retter zum Unglücksort ruderten und der See ausgesetzt waren. Später dann in moderneren geschlossenen Rettungsbooten und heute in modernen Seenotrettungskreuzer mit kleinem Tochterboot (Beiboot) oder den modernen Seenotrettungsbooten. Die meisten der 980 Seenotretter arbeiten freiwillig, und alle 54 Stationen werden auf Spendenbasis finanziert, das heißt, dass jeder Bürger einen Geldbetrag an die Seenotretter spenden kann, und nur dadurch werden sie dann auch finanziert.
Für einige Details habe ich den Vormann (Kapitän) des Seeotrettungskreuzers Pidder Lüng, der auf Sylt stationiert ist, befragt.

Search and Rescue: die Pidder Lüng, Station List/Sylt, im Einsatz
Wie heißen sie?
Christian Koprek, 2. Vormann der Station List auf Sylt auf dem Seenotrettungskreuzer Pidder Lüng.

Seit wann sind Sie Seenotretter?
Seit dem 15.03.2013.

Was und wann war ihr letzter Einsatz?
Der letzte Einsatz war vor drei Wochen (Stand 31.10.16), ein vermisster Kite-Surfer vor Wenningstedt/Sylt Westseite.

Welche Geschichte hat Ihre Station?
1882 wurde die Station gegründet.

Wieso machen Sie bei den Seenotrettern mit?
Überzeugung, Stolz und Ehrgeiz, zu helfen.

Kommandobrücke (innen) der Pidder Lüng
Wie sieht Ihr Alltag als Seenotretter aus?
Der Regeltag beginnt um 06:30 Uhr mit Aufstehen, Kaffee kochen, Dienstbesprechung und Planung für den Tag (Übungen, Kontrollfahrten, Wartung, Pflege usw.). Einer darf Mittagessen kochen, danach ist Ruhe im Schiff bis 14:45 Uhr zum Kaffee. Anschließend gibt es noch Tätigkeiten an Bord oder im Stationsgebäude bis ca. 18:00 Uhr, um 18:45 gibt es Abendbrot, oder man nutzt die Zeit vom Abend noch für Sport usw. Gegen 23 Uhr gehen wir in der Regel schlafen. Jede Schlafkammer ist mit UKW-Seefunk ausgestattet sowie Telefon und Betriebsfunk, wir hören 24 Std. am Tag den Funk ab und sind stets einsatzbereit.

Kommandobrücke (außen)
Wieso fasziniert Sie so das Wasser (Meer)?
Die Weite, die Ruhe, aber auch das Unbeständige, der Sturm, der Wind, die Tiere, die Wellen. Ich habe mit 16 Jahren meine Ausbildung als Fischwirt begonnen und bin der See treu geblieben.

Wie ist Ihre Crew aufgebaut?
Im Idealfall zwei Techniker für die Maschinenanlage und ein Nautiker, d. h. ein Vormann, der fährt und die Führung hat, die beiden Techniker erledigen an Deck ihre Arbeiten und in der Maschine. Dazu kommt mit Glück noch ein freiwilliges Mitglied, welches seine Freizeit für den Dienst der Seenotrettung zur Verfügung stellt.



Wo wohnen Sie, wenn Sie Dienst haben?
Wir haben direkt zum Abgang Hafen ein Stationsgebäude, in dem wir 15 Tage wohnen wärend unserer Dienstzeit.

Wie groß ist Ihr Einsatzgebiet?
40 km nördlich List, 50 km südlich List, das gesamte Wattengebiet nördlich vom Hindenburgdamm und natürlich die gesamte Westseite Sylts, da gibt es keine Grenze, wir waren schon zu Einsätzen 120 km westlich in der Nordsee.

Maschinenraum der Pidder Lüng
Nennen Sie bitte ein paar Fakten zu Ihrem Arbeitsgerät?
Der Kreuzer Pidder Lüng gehört zu der sogenannten 20 m Klasse. Drei Mann Besatzung, 24 Std., 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. 22,5 Knoten (ca. 42 km/h) schnell, 1634 PS stark, 330 Liter Diesel-Verbrauch pro Std. Vollgas. 7500 Liter Tankvolumen für Diesel. Das Arbeitsboot Michel, ein RIB (Reinforced Inflatable Boat) der Firma MST, ist 4,8 m lang 2,2 m breit und wird mit einem Jet angetrieben, der das Boot mit 160 PS auf eine Geschwindigkeit von 32 Kn bringt (ca. 60 Km/h).


Was war Ihr spektakulärster Einsatz?
Das war in der Nacht zum 04.09.2008. Die Suche nach der Kadettin J. Böken, die damals von dem Segelschulschiff Gorch Fock gestürzt und ums Leben gekommen ist. (Im Netz ist viel darüber zu finden).

Gab es einen Einsatz, an denen Sie keine guten Erinnerungen haben?
Ja, und viele, die diese Frage stellen, erhoffen sich nun einen dramatischen Einsatz. Jedoch das Schlimmste in den fast 14 Jahren Seenotrettung, die ich nun betreibe, war auf der Station Büsum. Unser Kreuzer, die Hans Hackmack, war zur Routinekontrolle in der Werft, und wir haben einen Reserve-Kreuzer auf Station bekommen, die Hannes Glogner. An meinen zweiten Diensttag beim Frühstück fehlte mein Kollege von der Station, er war noch in seiner Kammer und schlief wohl, nach Klopfen und weiteren Weckversuchen durch Rufen usw. gab es keine Reaktion. Ich öffnete dann seine Kammertür um ihn zu wecken, doch er lag leblos in seiner Koje. Sofortige Reanimation der Besatzung und das Rufen von Notarzt und Rettungssanitätern änderten nichts an dem Zustand. Wir haben ihn nach gut zwei Std. mit den Füßen zuerst von Bord getragen und ihn auf seine letzte Reise geschickt.


Beiboot eines größeren Kreuzers: die Notarius (Sassnitz/Rügen).
Beispieleinsatz, 30.07.2013: Seenotretter bringen fünf Kinder von abtreibenden Tretbooten in Sicherheit
Fünf Kinder unter zwölf Jahren haben die freiwilligen Seenotretter der Station Travemünde heute, Dienstag, den 30. Juli 2013, aus der Lübecker Bucht gerettet.
Die drei Mädchen und zwei Jungen waren mit zwei Tretbooten von einem örtlichen Tretbootverleih zunächst in Strandnähe vor Travemünde unterwegs gewesen. Aufgrund starker ablandiger Winde und Strömung bewegten sich die kleinen Boote trotz aller Bemühungen der Kinder, wieder Richtung Strand zu gelangen, immer weiter aufs offene Wasser und in die Nähe des Schifffahrtsweges.
Bemerkt wurde die gefährliche Lage von einem Segler, der sich bei den Seenotrettern bemerkbar machte. Die Besatzung des Seenotrettungsbootes HANS INGWERSEN/Station Travemünde der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) war zu dieser Zeit noch in einem anderen Einsatz. Sie hatte die zweiköpfige Besatzung eines entmasteten Tornados (Sportkatamarans) gerettet und am Mövenstein bei Travemünde an Land gebracht. Der beobachtende Segler machte im Vorbeisegeln durch deutliche Handzeichen in Richtung See auf die Lage aufmerksam.
Die Seenotretter sichteten die kleinen blauen Tretboote nach kurzer Zeit in etwa 700 Metern Entfernung vom Strand und fanden die Kinder bei ihrem Eintreffen in Panik vor. Sie übernahmen die fünf Mädchen und Jungen an Bord und wärmten sie mit Decken. Mit dem Seenotrettungsboot wurden sie in kürzester Zeit an Land gebracht. Die Kinder gehörten zu einer Jugendgruppe aus Lüneburg. Ihr Betreuer nahm die Kinder an Land in Empfang.
Bei dem herrschenden Südwestwind mit sechs Beaufort (bis 49 km/h) läuft in der Lübecker Bucht eine starke Strömung, gegen die weder Schwimmer noch Tretboote ankommen. „Die Kinder haben großes Glück gehabt“, sagte Horst-Dieter Eder, der seit 31 Jahren bei der DGzRS ist und als Vormann die Freiwilligen-Station in Travemünde leitet. „Mit den kleinen blauen Booten wären sie in kürzester Zeit vom Strand nicht mehr zu sehen gewesen. Wir waren zur rechten Zeit am rechten Ort.“ Dank gilt auch dem aufmerksamen Segler, der die Kinder in ihrer Notlage bemerkt hat.

Quelle: https://www.seenotretter.de/aktuelles/seenotfaelle/ansicht/news/seenotretter-bringen-fuenf-kinder-von-abtreibenden-tretbooten-in-sicherheit/

Bilder: www.seennotretter.de, privat.



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