Freitag, 27. Juni 2014

Exkursion nach Berlin

Alles in Trümmern. Eindrücke des Seminarfachkurses „Ambiguität“zu Joseph Beuys und Andy Warhol anlässlich einer Exkursion zum „Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart“ in Berlin


 
Joseph Beuys: Das Ende des 20. Jahrhunderts (1982-83)
 
 
  
Joseph Beuys: Unschlitt (1977) ...
... härtendes Fett, noch immer warm im Innern.
Andy Warhol: One Multicolored Marilyn (1979/86)
   

 
  


Mittwoch, 25. Juni 2014

Philosophisches Café II: Wahrheit und Unwahrheit


Wahrheit und Unwahrheit. Diego Umaña Castro über falschen Idealismus in Kolumbien und überall

Ich habe Recht, und du hast Unrecht. So hört sich der Umgang mit Wahrheiten heutzutage an. Jeder hat seine Vorlieben und seine Absichten. Das scheinen die Grundbausteine jeder Identität zu sein.

In unserer pluralistischen Gesellschaft wird von allen gefordert, dass sie die anderen tolerieren. Es macht zumindest den Anschein, als gelänge das problemlos. Aber tatsächlich urteilen wir ständig über andere, aus reiner Bequemlichkeit. Wir ordnen die Menschen, die vor unseren Augen ihr Dasein genießen, beim Anblick ihrer Oberflächlichkeiten einer dazu passenden Gruppierung zu, fast automatisch. Von Äußerlichkeiten schließen wir auf Absichten und Vorlieben. Der Mensch wird so zu einer Ansammlung von Vorstellungen.

Mir scheint aber, als gäbe es mehrere Spiegelungen unseres Selbst, und zwar bei jedem Menschen, mit dem wir Kontakt haben. Keine stimmt mit den anderen überein. Und das Bild, das wir von dem Menschen vor uns haben, wird nie übereinstimmen mit ihm selbst, nie wird seine Vergangenheit, Zukunft, werden seine Träume und Absichten gänzlich zum Ausdruck kommen – durch unsere Wahrnehmung von ihm.

So kommt es im alltäglichen Umgang mit anderen Menschen zu Auseinandersetzungen. Warum? Auseinandersetzungen im Allgemeinen sind auf eine Gegensätzlichkeit zurückzuführen. Zwei Dinge, die sich widersprechen, könnten durch eine Mediation zu einem Ergebnis führen, das beide Parteien zufrieden stellt. Aber wer hat Zeit für eine Mediation im Alltag? Niemand.

Ein Seitenblick in die Politik. Die westeuropäische Politik kennt wenig offene Auseinandersetzungen über Interna, außer vielleicht über komische Bahnhofsprojekte wie Stuttgart 21, oder es gibt Leute, die sich darüber ärgern, das ausländischen Geheimdienste sie ausspionieren. Aber wie naiv muss man sein, um sich nicht vorstellen zu können, dass wir in dieser kaputten Gesellschaft ständig überwacht werden? An dem Tag, an dem wir angefangen haben, mehr Zeit im Internet zu verbringen als draußen unter dem schönen blauen Himmel, haben wir auf unsere Privatsphäre verzichtet.

Um die Problematik einer Auseinandersetzung zu erläutern, eignet sich das politische Geschehen in Westeuropa nicht. Begeben wir uns also zu Orten, wo politische Konflikte und keine langweiligen Skandale und Geldkrisen noch auf altmodische Weise gelöst werden, mit Blei.

In meinem Heimatland Kolumbien geht seit vierzig Jahren ein blutiger Bürgerkrieg vor sich. Linksextremistische und rechtsextremistische Guerillas tun so, als seien sie die Verkörperung des Viet Cong auf südamerikanischen Territorium. Die FARC Guerilla hat nicht mitbekommen, dass es die Sowjetunion nicht mehr gibt und dass der Kommunismus schon einmal die Chance hatte, um zu zeigen, welche politische Erfolge er erreichen kann.

Wenn bewaffnete Menschen sich in den Regenwald zurückziehen und ständig aus einer schlecht übersetzten Version von Karl Marx’ „Das Kapital“ vorgelesen bekommen, kann nichts Vernünftiges dabei herauskommen. Die Gegenspieler dieser kommunistischen Freiheitskämpfer – wir alle wissen was Kommunisten machen, wenn sie zu viel Macht bekommen; persönliche Freiheit steht dabei nicht im Vordergrund – sind bezahlten Milizen, die einer faschistische Gehirnwäsche zum Opfer gefallen sind. Was diese Menschen mit Kettensägen machen, endet in einem Massengrab.

Die traditionelle politische Schicht, die sich eigentlich auf keine Seite des Konflikts stellen dürfte, um eine Mediation zu ermöglichen, hat es dennoch gemacht. Das konservative Militär kooperiert mit den Milizen. Verbündete gegen den Kommunisten. Seit vier Jahre hat sich die Situation teilweise verbessert, zumindest ist jetzt die politische Schicht ebenfalls polarisiert: zwischen denen, die keinen Bürgerkrieg mehr wollen, und denen, die davon profitieren. Ein Bürgerkrieg ist ein ausgezeichneter Nährboden für Drogen- und Waffenhandel. Diese Auseinandersetzungen sind darauf zurückzuführen, dass manche Menschen glauben, es besser zu wissen als andere. Zum Bespiel in der Form eines politischen Ideals. Idealisten sind konfliktschaffende Menschen.

Was für eine Folgerung lässt sich daraus für unser Alltagsleben ableiten? Wie können wir Konflikte vermeiden? Eigentlich ganz einfach: Wir dürfen uns nicht durch die von uns vorgestellten Ansichten der Anderen oder unsere eigenen zu Idealisten machen lassen.

Am Ende weiß keiner genau, was das Beste ist. Für ein Problem gibt es unzähligen Sichtweisen. Sei es der Musikgeschmack, sei es das Planen eines Treffen zur einer bestimmten Uhrzeit oder das politische Geschehen eines Landes. Wir müssen uns die Zeit lassen, um die Absichten anderer zu betrachten. Die anderen Menschen haben auch ihre Gründe, warum sie an ihre Vorstellungen glauben. Um einen Kompromiss zu ermöglichen, müssen ihre Gründe in Betracht gezogen werden. Das erfordert seine Zeit, aber am Ende werden keine langen und unnötigen Whatsapp-Debatten geführt, und keine Massengräber müssen ausgegraben werden.

  • Unser Autor Diego Umaña Castro gehört zur Abiturientia 2014. Er stammt aus Kolumbien. 2008 kam Diego nach Deutschland und ist seitdem auch WG-Schüler. Er plant, Chemie und danach Philosophie zu studieren. Dann will er in seinem Heimatland politisch aktiv werden. Sein Denken ist u. a. beeinflusst von den französichen Existentialisten Jean-Paul Sartre und Albert Camus sowie Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Außerdem ist Diego Anhänger der Kagyü-Linie des tibetischen Buddhismus.
 



Mittwoch, 18. Juni 2014

Philosophisches Café I: Fühlen und Gefühl


Die Trennung zwischen Fühlen und Gefühlen, eine moralische Frage. Von Diego Umaña Castro

Ich sah zu, wie mein Vater das Frühstück meiner Mutter vorbereitete, dabei unterhielten wir uns über die morgige Präsidentschaftswahl in Kolumbien, mein Geburtsort: ein Land, in dem seit fünfzig Jahren Bürgerkrieg herrscht. Dieser bewaffneter Konflikt ist bereits für das Verschwinden von 220.000 Menschenleben verantwortlich. Rechts- und linksextremistische Guerillas verwüsten seitdem das Land, es kommt oft zu blutigen Konfrontationen oder Massakern, wo ganze Dörfer dem Boden gleichgemacht werden. Mit meinem Vater kamen wir auf eines davon zu sprechen.

Am Anfang hielt er sich zurück, dann aber konnte ich ihn, mit etwas Besorgnis, zu einer Aussprache bewegen. Mir reichte es aus, zu wissen, dass die Verbrecher mit abgetrennten Köpfen Fußball gespielt und Frauen auf widerwärtige Weise vergewaltigt haben.

Die Unterhaltung folgte dem Hauptgedanken der Akzeptanz gegenüber dem Unerlaubten in der Gesellschaft. Der Gebrauch des Ausdrucks „das Böse” erscheint mir in diesem Fall als unzureichend.

Wir sprachen über das Gleichgewicht zwischen dem, was gelehrt wird, und dem, was wirklich passiert. Zusammengefasst: wenn dir gelehrt wird, keinem Menschen Leid zu tun, und du es trotzdem mehrmals am Tag siehst, dann beginnst du, es zu akzeptieren, bis du es selber tust. Dieser Sachverhalt zeigt eine unzureichende Deckung des moralischen Wertesystems der westlichen Zivilisation.

Mit den Ergebnissen meiner phänomenologischen Ausarbeitungen war es mir möglich, das Gespräch zu lenken. Eines meiner Hauptpostulate ist die Amnestieabgabe des Menschen an erdachte Instanzen seiner Vorstellung. Mein Vater fand Gefallen an diesem Gedanken. Was ist darunter zu verstehen? Sobald der Mensch an Gefühle glaubt, anstatt zu fühlen, dann beginnt er zu leiden. Mögen es Hass, Liebe, Neid, Begierde, Nostalgie, Melancholie oder Ähnliches sein. Wenn wir unserem Empfinden einen Namen geben, ist ein Freiheitsverlust die daraus resultierende Konsequenz. Wir richten unser Handeln nach dieser von uns erdachten Vorstellung.

Ich nenne dieses Abgeben von Freiheit Amnestie, weil der Mensch auf diese Weise nicht mehr Herr seiner Handlungen ist. Wir tun das, was wir tun, weil wir an etwas glauben, vom dem wir uns vorstellen, es zu empfinden. Das ist der wichtigste Aspekt bezüglich Leiden und Moral. Wenn wir an eine Instanz – hier: die nur vorgestellten Gefühle anstelle des wirklichen Fühlens – außerhalb unserer selbst glauben, dann sind wir für Rücksichtslosigkeiten anfälliger.

Wenn ein Mensch vor mir steht, beschäftige ich mich, sein Verhalten beurteilend, mit den Gefühlen, von denen ich annehme, dass er sie fühlt.  Aber ich beschäftige mich nie mit seinem Fühlen selbst.
Diese Gesellschaft – nicht nur die kolumbianische: die kapitalistische allgemein – handelt nur mit Gefühlen, aber nie mit dem Fühlen der Dinge. So ein Verhalten ist feige und wird befürwortet, weil es in einer Wachstumsgesellschaft keine Zeit mehr gibt, um sich ausgiebig und gründlich mit dem Empfinden der Dinge zu beschäftigen. Dabei ist es genau das, was alle Menschen gemeinsam haben. Unsere Gefühle (die Vorstellungen davon) trennen uns – das Fühlen stattdessen mündet im Frieden und vereint die Menschheit.

Es kommt mir so vor, als würde sich, leider, auch meine Ausarbeitung als ein Wertesystem herauskristallisieren, das diese Trennung einschließt. Gefühle bilden sich schließlich, wenn der Mensch mit seinem beschränkten Bewusstsein versucht, sein Empfinden zu verstehen.


  • Unser Autor Diego Umaña Castro gehört zur Abiturientia 2014. Er stammt aus Kolumbien. 2008 kam Diego nach Deutschland und ist seitdem auch WG-Schüler. Er plant, Chemie und danach Philosophie zu studieren. Danach will er in seinem Heimatland politisch aktiv werden. Sein Denken ist u. a. beeinflusst von den französischen Existentialisten Jean-Paul Sartre und Albert Camus sowie Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Außerdem ist Diego Anhänger der Kagyü-Linie des tibetischen Buddhismus.